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Archiv-Artikel

Medienmacher im Problemkiez

Potsdamer Straße, das ist für viele Prostitution und sozialer Brennpunkt. Doch die „Potse“ ist auch ein Quartier mit vielen Ideen. Ein Projekt will die Straße nun als Medienstandort profilieren. Ein Streifzug

VON ULRIKE KOPETSKY

Nein, hübsch ist sie nicht, die alte Potsdamer Straße. Sie hat ja auch schon 200 Jahre Medientradition auf dem Buckel. Eher wirkt sie ein wenig zersaust mit Ansätzen von Haarausfall bei all den leer stehenden Büroräumen. Die Noblesse hat sich verzogen, Discounter haben die Straße in Besitz genommen, der multikulturelle Einzelhandel floriert. Und dann der ewig durchbrausende Verkehr auf der alten Reichsstraße 1 zwischen Königsberg und Aachen.

Wieso überhaupt der Blick auf ein kleines Medienareal in der Hauptstadt? In Deutschland werden Medienstädte wie Berlin, Hamburg oder Köln nur als Ganzes vermarktet. Dabei sind viele Medienknotenpunkte in Berlin anzutreffen, so auch die Mediacity Adlershof oder die Medienstadt Babelsberg. Doch Schöneberg und Mitte sind Vorreiter, ein bezirkliches Medienprofil entwickeln zu wollen.

Zunächst aber: Viele Medienfirmen sind schon weg, so das Fotofachlabor Jacobs + Schulz, das türkische Radio Metropol FM oder die Geschäftsleitung von Radio Russkij Berlin. Gerüchte schwirren auch um den Wegzug von Radio Energy. Im Mai verabschiedet sich der tip, Ende des Jahres folgt die Druckerei Druckpunkt.

Zu allem Übel gedeihen auch noch Prostitution, Drogen und Kriminalität. Doch das beirrt die Medienbranche kaum. „Das kritische Milieu? Das sind doch wir!“, meint Lorenz Maroldt, Chefredakteur vom Tagesspiegel, und er hat auch gleich eine schreckliche Drogenrezeptur parat: „Ein Bier im Pillhuhn oder dann in die Viktoria-Bar“. Und wenn das alles nichts hilft, steigt sich der Tagesspiegel selbst aufs Dach und feiert Sommerpartys mit genialer Aussicht.

Auch ein Urgestein ist der tip, und Chefredakteur Karl Hermann hat die Langsicht aufs Milieu. Schon in den 80ern war die Punk- und Drogenszene an der Mauer versammelt und „historisch von den Ordnungskräften und der Politik gewollt – die Konzentration Westberliner Elends“, für saubere Bezirke drum herum. Doch der tip fand es immer richtig, genau dahin zu gehen, wo es wehtut. Geht es der „Potse“ jetzt also zu gut?

Cine plus, TV- und Mediahaus – der Standort Lützowufer lebt eher im Glanz des Botschaftsviertels. Vom Marketing für Mikrostandorte hält man hier nicht viel, dann doch eher die europaweite Leuchtturmfunktion durch die Berlinale und das Zusammenwachsen mit dem Potsdamer Platz. Für Achim Klapp, PR-Berater, macht „die Kriminalität einen weiten Bogen ums Lützowufer“, dem Verteidigungsministerium sei Dank. Man fühlt sich wohl.

So geht es auch Milena Fessmann, die mit Cinesong (Musikberatung für Filme) am Winterfeldtplatz sitzt. Der Regenbogenkiez ist „voller Leben“, alles da zum kreativen Arbeiten. Laut Studie sollen hier über 360 Medienfirmen sitzen. Doch die Zahl ist mit Vorsicht zu genießen, denn Daten wurden unter anderem aus Telefonbüchern abgeschrieben. Bei einen Projektbudget von 25.000 Euro hielt man es nicht für nötig, alle Firmeneinträge auf Aktualität zu überprüfen, trotz des Fluktuationsproblems. Das nervt dann beim „Vernetzen“, wenn mit den Adressdaten bei fünf Telefonanrufen nur ein Treffer erzielt wird.

Große Medienmischung ist hier trotzdem anzutreffen: Film und TV führen vor Grafikdesign und Produktion. Auf dem 4. Platz stehen Werbung und Marketing. Große und kleine, junge und alte Medienfirmen tummeln sich. Platz ist auch für Unternehmernetzwerke wie den Multimediaverband Interface!Berlin, die auf das „Schmuddel-Image“ relaxed reagieren. Das „ungeschminkte Berlin“ eben. Im Sommer wird übrigens ein Buch von Sibylle Nägele und Joy Markert erscheinen – darin ein Kapitel ausschließlich zur Medienkultur in der Potsdamer Straße.

Bis dahin vielleicht das Motto: „Think global, drink local!“