piwik no script img

Archiv-Artikel

Protest gegen Europas unsoziale Zukunft

Vor dem Gipfel der EU-Regierungschef machen Gewerkschafter in Brüssel gegen die Dienstleistungsrichtlinie mobil

BRÜSSEL taz ■ Mehr als 50.000 Gewerkschafter und Globalisierungskritiker haben am Samstag in Brüssel gegen Sozialabbau und Deregulierung protestiert. Auf Plakaten beschuldigten sie den britischen Premier Tony Blair, EU-Kommissionschef Manuel Barroso und den ehemaligen Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein, das soziale Erbe Europas zu zerstören. Die von Bolkestein entworfene Dienstleistungsrichtlinie, die nationale Schranken auf dem EU-Arbeitsmarkt abbauen soll, gilt vielen als Symbol für einen neoliberalen, unsozialen Kurs. Viele der Teilnehmer – vor allem französische und belgische Gewerkschafter, aber auch Attac-Mitglieder – protestierten auch gegen die geplante EU-Verfassung. Sie ist in der Protestbewegung zum Symbol geworden für eine neoliberale, allein auf Wirtschaftswachstum ausgerichteten Union. Auch der Euro kam bei den Demonstranten nicht gut weg: „Den Dollar mit dem Euro bekämpften – das heißt, Feuer mit Feuer löschen“, stand auf einem Plakat.

Betrachtet man die Stimmung am Samstag in Brüssel als Indikator für die Volksabstimmung zur Verfassung in Frankreich, die Staatspräsident Chirac für Mai geplant hat, stehen die Chancen auf eine Zustimmung schlecht. Während konservative Wähler die Verfassung mit dem Türkeibeitritt vermengen und deshalb negativ beurteilen, stellen die Linken eine Verbindung zu Sozialabbau und Lohnkürzungen her. Auf vielen französischen Plakaten wurde auch deutlich, dass die Volksabstimmung zum Denkzettel für den französischen Präsidenten werden könnte: „Nein zur Verfassung ist nein zu Chirac!“

Der Deutsche Gewerkschaftsbund lehnt die EU-Verfassung offiziell nicht ab. Die aus Deutschland angereisten Gewerkschafter protestierten vor allem gegen die Bolkestein-Richtlinie und gegen Sozialabbau und Lohndumping. Beim EU-Gipfel, der morgen hier in Brüssel beginnt, müsse sich der Bundeskanzler dafür einsetzen, dass die europäischen Sozialstandards gewahrt werden, forderte DGB-Chef Michael Sommer am Rande der Demonstration.

Das dürfte Schröder allerdings schwer fallen. Er wird alle Hände voll zu tun haben, den anderen Regierungschefs seine Haushaltsprobleme nahe zu bringen und den Stabilitätspakt in seinem Sinne zu ändern. Arbeitnehmerrechte haben derzeit in Brüssel keine Konjunktur. Angesichts deprimierender Wachstumszahlen sehen fast alle EU-Regierungen das Heil darin, die Lohnkosten und die sozialen Standards weiter zu senken, um Arbeitsplätze innerhalb der Union zu schaffen oder wenigstens zu erhalten.

DANIELA WEINGÄRNTER