: Pionier der Moderne
Der Dirigent Gary Bertini, der in den 80er Jahren in Köln wirkte, förderte die Gegenwartsmusik. Ein Nachruf
In den 80er Jahren war er der prägende Dirigent in Köln: Gary Bertini. Überraschend hatte sich der 1927 in der Sowjetunion geborene Musiker in die Oberliga der europäischen Dirigenten gespielt, nachdem er in Hamburg die Uraufführung von Josef Tals Oper „Ashmedai“ geleitet und einige weitere Gastdirigate absolvierte hatte.
Nach der Violin- und Kapellmeisterausbildung in Mailand Anfang der 50er Jahre sowie ergänzenden musikwissenschaftlichen und Kompositions-Studien in Paris hatte sich Bertini für die musikalische Pionierarbeit in Israel entschieden. 1955 gründete er dort den Rinat-Kammerchor, der dann zu einem offiziellen Organ des jungen Staates erhoben wurde.
Auch die Jeunesse musicale d'Israel geht auf eine Initiative Bertinis zurück, ebenso das Rundfunkorchester, aus dem das inzwischen international renommierte Jerusalem Symphony Orchestra hervorging. Von 1965 an – die Ära der neuen Kammermusik war angebrochen – profilierte sich Bertini mit dem Israel Chamber Ensemble, das er neben seiner Lehrtätigkeit in Tel Aviv bis 1975 leitete.
Erst 1983 ließ er sich nach anfänglichen Bedenken als Chefdirigent des Kölner Rundfunk-Sinfonieorchesters verpflichten, wurde zugleich Chef des Detroit Symphony Orchestra. Trotz dieses Doppels stieg Bertini nicht wirklich zur Topklasse der Jet-set-Pultmagier auf. Dennoch wird das Engagement für den Kölner Komponisten Bernd Alois Zimmermann ebenso nachhaltig in Erinnerung bleiben wie insgesamt Bertinis Bemühungen um die Vermittlung von Musik der Gegenwart.
Der Durchbruch zur ganz großen Karriere stellte sich auch nicht ein, als er zusätzlich die Nachfolge Michael Gielens als Intendant und Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt übernahm. Deutliche Startsignale setzte er dort einerseits mit einem dezidiert konservativ gehaltenen Gluck-Doppelabend, andererseits mit der Uraufführung der „Europeras“ von John Cage. Der Brand im Frankfurter Opernhaus beeinträchtigte dann bereits vom November 1987 an die weitergehenden Absichten. Zu den gelungensten Notlösungen gehörte „Moses und Aron“ von Arnold Schönberg.
Nach den Frankfurter Blessuren – Bertini wurde vom Orchester abgewählt – erfuhr der israelische Dirigent in der französischen Hauptstadt Paris noch einen goldenen Oktober. Er wirkte an etlichen glanzvollen Premieren mit, zuletzt im vergangenen Jahr an „Manon“ von Gilbert Deflo mit einer melancholisch-auratischen Massenet-Musik.
Zu den Highlights seiner langen Musikerkarriere gehörte zweifellos die Einweihung der New Israeli Opera im Tel Aviv Performing Arts Center am König Saul-Boulevard Ende 1995 – eine festlich gekrönte Rückkehr zu den Wurzeln der Pionierarbeit, die nun ihre Früchte trägt. Am vergangenen Donnerstag starb Gary Bertini in Tel Aviv.
FRIEDER REININGHAUS