: Nur in Musik denken
Weitermachen und still dabei bleiben: Masha Qrella hat mit „Unsolved Remained“ ihr zweites Album draußen, macht aber wenig Aufhebens darum. Das Porträt einer Musikerin, wie es sie selten gibt
VON LORRAINE HAIST
Als ich Masha Qrella zum Interviewtermin im Wohnungsbüro ihres neuen Labels Morr Music treffe, störe ich ein Kickerturnier zwischen ihr und der Morr-Belegschaft. „Eine freundliche Atmosphäre, das Label als Schutzraum und Familie“, denke ich, und: „Masha spielt bestimmt unheimlich gut, so gut wie ein Junge.“ Ein blöder Gedanke. Aber raus ist er trotzdem. Und irgendwie passt er ja er ja auch gut: Masha, die seit fast zehn Jahren auf der Bühne steht und bei Instrumentalbands mitspielt wie einer von den Jungs. Masha, die bei ihrer Band Contriva einfach nur Gitarre spielte oder Bass. Oder bei Mina gleich ganz hinter einem großen Keyboard verschwand und ihre Gesicht dabei immer hinter einem überlangen braunen Seitenscheitel versteckte.
Masha, der Tomboy, aber auch die Frau mit dem Schutzschild, das sie selbst während des Interviews selten zur Seite schiebt. Während männliche Musiker meistens eitel genug sind, sich auf dem Cover ihrer ersten Platte mit dem eigenen Gesicht zu zeigen (und damit eine der wichtigen Anfänger-Lektionen aus dem Handbuch des Musikbusiness befolgen), sah man auf dem Cover von Masha Qrellas Solo-Debüt „Luck“ vor fast drei Jahren nur ihre Haare, auf dem neuen, ihrem zweiten Album „Unsolved Remained“ ist sie nur ganz klein und auf der Rückseite zu sehen.
Wie sie nun hier sitzt, in Jeans und Pulli, mit ihrem ungeschminkten Gesicht, muss man denken: Masha Qrella ist der Gegenentwurf zu „flamboyant“, um hier mal im Modejournal-Jargon dieser Tage zu sprechen. Und in den leisen, aber windschnell und bestimmt hervorgebrachten Worten, mit denen sie viele meiner Fragen als „für meine Platte nicht relevant“ abwimmelt, setzt sich ihre Sprödigkeit noch fort.
Dabei klingt Masha Qrellas Musik, vor allem die ihres neuen Albums, so weich und zart, als sei sie eine Wolldecke, in die man sich hörend schmiegen kann, nicht aus akustischen und elektrischen Gitarren, sondern aus feinstem Garn gemacht. Zwar sind an vielen Stellen immer noch unfertige Stolperbeats und elektronische Störgeräusche zu hören, und manchmal sind ein Instrument oder ihr glockenklarer Gesang zu laut abgemischt. Das alles bricht die Eintracht aber nicht, in der Masha Qrellas Melodiebögen dahinschaukeln.
Hört man dazu auf die Texte, kann man den Eindruck gewinnen, es handele sich um diese für Berlin so typische niedliche Musik, durch die ein hochromantischer Geist weht: Es geht – wenn auch auf Englisch – um Natur, Winter, Weihnachten, Freunde und Freundschaft, das Zuhause und um Gedanken, die aber sehr weit und ungefährlich formuliert sind – ebenso verschwommen wie der Gesang an vielen Stellen verwischt produziert ist. Dass Masha Qrella dieses Ungefähre ganz bewusst betreibt, bestreitet sie nicht, bezieht sie aber ausschließlich auf ihre Musik: „Ich finde das generell angenehm, wenn man in Texten noch etwas entdecken kann. Gerade bei deutscher Musik stehen mir die Texte mit ihrem riesigen poetischen Anspruch zu oft über der Musik.“ Und dann sagt sie noch etwas von „Abstand wahren“.
Genau, „Abstand wahren“. Je länger das Gespräch mit Masha Qrella dauert – je mehr sie über ihre dritte Band, NMFarner, berichtet, davon, wie sie ihren ersten Rechner kaufte und ihre Stücke allein aufzunehmen begann, wie sie die Platten anderer Bands produzierte oder wer auf ihrem neuen Album alles mitgewirkt hat – je mehr Masha Qrella über ihre Musik redet, desto mehr fällt auf, wie gut sie sich damit auch selbst beschreibt. „Sich rausnehmen“, „sich nicht erklären müssen“, „nur in Musik denken“: Das sind Ausdrücke, die oft vorkommen bei ihr. Sie ist die Frau hinter den Kulissen.
Und die staunen macht. Wie viele Musikerinnen gibt es hierzulande und anderswo schon, die sich derart kühl und analytisch und musikfixiert über sich selbst äußern? Die sich als vielseitige Musikerin und Multi-Instrumentalistin darstellen und sonst nichts? Man denkt an Bernadette La Hengst und Elena Lange von Stella, bei denen sich oft die Politik über die Musik schiebt, an Rhythm King And Her Friends und ihre feministischen Botschaften. Oder auch an Cat Power und PJ Harvey, die sämtliche Rollen vom Vamp bis zum Opfer einnehmen – und sich so ganz genauso heftig in den Geschlechterkampf stürzen.
Und Masha Qrella? Warum fehlt bei ihr jedes Statement, warum kennt sie keine Wut, keine Angst, keine Lust auf Rollenspiele? Und: Geht das überhaupt, sich als Person ganz und gar raushalten? Noch dazu in Zeiten wie diesen, in denen der Hype um Deutschrock immer neue falsche Frontfrauen wie die von Juli oder Silbermond oder auch Judith Holofernes von Wir Sind Helden hochspült – Frauen, die vor allem für schönes Aussehen und Kommunikation sorgen? „Nö“, findet Masha Qrella einfach nur, und verneint auch meine Frage, ob sie als Musikerin jemals Nachteile erfahren hat, knapp und ein bisschen genervt. „Ich habe den Eindruck, dass sich diese klassische Emanzipationsfrage für mich nie gestellt hat. Meiner Erfahrung nach kann das sogar eher Türen öffnen, wenn man als Frau straight seine eigene Sache verfolgt und zu Ende bringt.“
Einige Ausweichmanöver später liefert sie dann aber doch noch eine mögliche Erklärung: Masha Qrella ist im Osten aufgewachsen, dort, wo man mit zwanzig Kinder bekam und trotzdem weiterarbeitete. In dieses Bild fügt sich auch die Villa Kurella, das Haus von Mashas Eltern in Pankow, von dem sie dann erzählt: Seit fünf Jahren dient das Kellergeschoss als Studio, Proberaum und Rückzugsort, und Masha Qrella sieht überhaupt kein Problem darin, dass sie als erwachsene Frau kürzlich wieder bei ihren Eltern eingezogen ist. Generationskonflikte – das sind Muster, in denen sich Leute wie Masha Qrella kaum mehr zu bewegen scheinen.
Und das ist es auch, was mich vor einer Musikerin wie dieser gleichzeitig zurückschrecken und mit viel Bewunderung stehen bleiben lässt: Es ist toll und irritierend zugleich, einer wie ihr dabei zuzusehen, wie man sich unerschrocken einfach immer weiterentwickeln und trotzdem ganz still dabei bleiben kann.
Record Release Party, heute, 21.30 Uhr, Bastard im Prater, Kastanienallee