: Bürger, bilde dich!
„Die fetten Jahre sind vorbei“: Bei einer Diskussion über Hartz IV, Gerechtigkeit und soziale Chancen gibt es nur weniger Antworten. Und nur eine Hoffnung: Eine Bildungsoffensive kann es richten
Bremen taz ■ Wer kommt an einem sonnigen Sonntagmorgen ins Theater, um über Hartz IV nachzudenken? Wohlmeinende Bildungsbürger in gesunden Schuhen, LehrerInnen und SozialpädagogInnen, denkt man, und ein paar Jüngere, Studierende vielleicht. Auf dem Podium sitzen Adelheid Bisecker, Professorin für politische Ökonomie, Carola Bury von der Arbeitnehmerkammer, Paul Nolte, Professor für neuere Geschichte, und Gert Wagner, Professor für Empirische Wirtschaftsforschung.
„Die Probleme von heute sind nicht erst die Folge von Hartz IV. Das Stichwort heißt: Neue Unterschichten“, sagt Paul Nolte. Gert Wagner meint, dass mit Hartz IV Ideen von linken Sozialstaatskritikern verwirklicht worden seien – weg von der fürsorglichen Vernachlässigung – und dass alleinerziehende Mütter jetzt höhere Leistungen bekämen, während Carola Bury von den 14.000 Arbeitslosen in Bremerhaven erzählt, wo es 253 offene Stellen gebe.
Von nun an springt die Diskussion zwischen Konjunkturprogrammen, steuerfinanzierten Sozialleistungen, den gerne zitierten skandinavischen Ländern und Mutmaßungen über alleinerziehende Mütter. „Alleinerziehende Mütter mit Abitur können ihren Kindern gute Bildungschancen bieten“, sagt Gert Wagner und zieht allgemeinen Unmut auf sich. „Wir haben gut reden, so wie ein bildungsbürgerliches Publikum immer gut reden hat“, sagt Paul Nolte und verweist wenig später darauf, dass ehrenamtliches Engagement eher unter Menschen mit Stelle als unter Arbeitslosen zu finden sei. Es scheint, als hätten die Menschen auf dem Podium verschiedene Statistiken gelesen, vermutlich interessieren sie sich auch nicht für die gleichen.
Und ab einem gewissen Punkt geht es nicht mehr um Statistiken, sondern um Meinungen. Das Ausfüllen der Hartz-IV-Unterlagen sei entwürdigend, findet Adelheid Bisecker. „Wieviele Eigentumswohnungen gesteht man einem Hartz-IV-Empfänger als Alterssicherung zu?“, fragt Paul Nolte. Es gibt wenig Einigkeit auf diesem Podium. Das macht es anregend. Dass die wenigen Lösungsvorschläge, die hier vorgetragen werden, sehr allgemein daherkommen, gibt ihm zwar den gewünschten visionären Charakter, belässt es aber auch im Abstrakten. In einem ist man sich allerdings einig: Bildung ist die Zukunftschance – für die gesamte Republik und insbesondere für die benachteiligten Schichten. Und hier wird es plötzlich doch einmal konkret: Alle Beteiligten warnen vor eine Ghettoisierung, wie sie mit den jüngst ergangenen Umzugsbescheiden nach Tenever und Osterholz für Hartz-IV-Empfänger drohe. Am Ende fragte ein älterer Mann, ob es denn gerecht sei, wenn man nach einem langen Arbeitsleben auf das Arbeitslosengeld II reduziert würde, so wie solche, die kaum gearbeitet hätten. „Man“ sagte er, statt „ich“. Und während nach dem Ende der Diskussion die Leute paarweise diskutierend den Wall entlanggehen, kann man sehen, wie sich lachend zwei Autofahrer grüßen, aus einem großen BMW heraus und einem Miniatur-Fiat, wie man ihn nur als Zweitwagen fährt. grä