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Archiv-Artikel

Gedanken-Freiheit

DAS SCHLAGLOCH von KERSTIN DECKER

Rolf Hochhuth macht etwas in der Mediengesellschaft höchst Riskantes. Er denkt

Die Junge Freiheit hat auf ihrer Internetseite ein neues Fenster eingerichtet. Gleich neben dem Zeitungsnamen erscheint das Foto eines nicht ganz unbekannten Autors und daneben steht: „Beiträge von Rolf Hochhuth in der Jungen Freiheit“. Hat er das verdient? Und dann denkt man: Waren es also schon mehrere. Gleich drei Stück. Was hat Rolf Hochhuth bloß immerzu mit der Jungen Freiheit zu besprechen?

Eigentlich ist dieses Hochhuth-Fenster auf der jungfreiheitlichen Website ein sehr leserfreundliches Angebot. Mein Zeitungsladen um die Ecke führt die Postille sowieso nicht, und es wäre auch nicht leicht, den Satz „Eine Junge Freiheit bitte!“ mit der nötigen Harmlosigkeit auszusprechen. Und dazu die schrägen Blicke all der Bild- und Weekend-Leser auszuhalten. Neulich saß mir im ICE ein Vater mit seinem Sohn gegenüber, beide aßen ihre Brotbüchsen leer und lasen dabei die Junge Freiheit. Die ganze Strecke zwischen Nürnberg und Leipzig. Ich habe Vater und Sohn lang anhaltend missbilligend angeschaut. Es ging nicht anders. Wir Toleranten haben überhaupt nur einen Fehler: Wir sind manchmal so schrecklich intolerant, vielleicht zur Erholung von der ganzen Toleranz. Und vielleicht wollten die beiden gar nicht zu einem Rechtsradikalenkongress in Sachsen und lasen in Wirklichkeit die ganze Zeit Rolf Hochhuth? Und weil das so schwer war, brauchten sie eben von Nürnberg bis Leipzig.

Rolf Hochhuth verstehen ist wirklich nicht einfach. Das geht nicht nur Pisa-Risikogruppen so. Ja, sogar ziemlich kluge Leute haben in letzter Zeit schon laut überlegt, ob Hochhuth nicht ein getarnter Holocaust-Leugner sein könnte. Höchste Zeit für einen Grundkurs „Denken wie Rolf Hochhuth“. Ein Beispiel.

Kürzlich hat Rolf Hochhuth dem Bundeskanzler einen offenen Brief geschrieben und den Vorschlag gemacht, die britische Botschaft aus der Wilhelmstraße dicht am Brandenburger Tor in den Tiergarten zu verlegen, wo sie keinen stört. In dem so frei werdenden Gebäude könnte man dann ein Museum über den Bombenkrieg einrichten.

Ja, glaubt Hochhuth wirklich, dass das eine gute Idee ist? Ist das nicht in gewissem Sinne ein latent antibritischer Vorschlag? Schon klar, er wohnt gleich um die Ecke, und der Verkehr staut sich vor seinem Haus, weil die Wilhelmstraße immerzu gesperrt ist, eben weil die britische Botschaft sich ständig bedroht fühlt. Aber Rolf Hochhuth hat gar nichts gegen die Briten, im Gegenteil. Er hält den Eintritt Großbritanniens in den Zweiten Weltkrieg für „die humane Großtat der europäischen Geschichte“. Das hat er der Jungen Freiheit auch gesagt. Die Feinde Britanniens behaupten solche Dinge nur ganz selten. „Die Engländer haben völlig uneigennützig gehandelt, um Polen freizukämpfen. Stellen Sie sich doch einmal vor, Sie wären Farmer in Wales, Australien oder Kanada und müssten einen Sohn opfern, nur um Polen freizukämpfen.“ Genau so hat er zur Jungen Freiheit gesprochen, der bestimmt noch nie im Leben eingefallen ist, Polen freizukämpfen. Wir denken immer, die Rechten sind ein bisschen dumm, aber das muss gar nicht so sein. Oder wer von uns hätte gewusst, dass Churchill den polnischen Exilpremier auf dem Gewissen hat? Die von der Jungen Freiheit wussten das und fragten Hochhuth nun, ob es wohl mit zum Kampf für Polen gehört, den polnischen Exilpräsidenten in London umzubringen? Was sie nicht wussten, ist, dass Hochhuth das mit dem polnischen Exilpräsidenten einst selbst aufgedeckt hatte. Auch hat Churchill den polnischen Exilpräsidenten nicht so direkt umgebracht, die Flugzeuge des Generals Sikorski sind öfter mal abgestürzt, den letzten Absturz hat der General nicht überlebt. Oder es war noch etwas anders. Der Pole war leider ein Störfaktor in der Politik Churchills. Als Hochhuth das schrieb, waren die Briten sauer, hielten ihn für antibritisch, obwohl er da ihre Botschaft noch gar nicht entmieten wollte, und erteilten ihm Einreiseverbot.

Hochhuth weiß auch, dass Churchill über die geplante Bombardierung Coventrys informiert war. Aber sollte Churchill etwa, indem er die Stadt oder wenigstens ihre Kinder evakuieren ließ, den Deutschen verraten, dass er ihren Code schon kannte? Sollte er auf das Studium der deutschen Kriegspläne aus erster Hand verzichten? – Unser durchschnittlicher, auf Körpertemperatur eingestellter Verstand mag Menschen nicht, die so denken. Und er erwartet von dem Churchill-Entlarver Hochhuth nun doch, dass er Churchill verurteilt. Macht er aber nicht. Hochhuth hält diesen Churchill für eine Jahrtausendfigur der europäischen Geschichte.

All das ist bei den Hochhuth’schen Entmietungsplänen der britischen Botschaft mitzudenken, und das Hochhuth’sche Bombenmuseum würde ganz und gar nicht aussehen wie der Bombenkriegs-Bestseller von Jörg Friedrich. Den hält er für wertlos, weil Friedrich den Bombenkrieg isoliert betrachtet. Hochhuth zur Jungen Freiheit: „Dresden wäre ohne das, was in Auschwitz geschehen ist, nicht möglich gewesen.“ Er sagt das in demselben Interview, aufgrund dessen er jetzt vielen in diesem Land als Verteidiger des Holocaustleugners Irving gilt.

Rolf Hochhuths „Stellvertreter“, dieses Theaterstück über den Papst in den Zeiten des Nationalsozialismus, war der Anfang vom Ende des politischen Status quo der alten Bundesrepublik. Mit diesem „Stellvertreter“ begannen die Fragen der Jungen an ihre Eltern: Und wo seid ihr damals gewesen?

Im nächsten Jahr wird der Autor des „Stellvertreters“ 75 Jahre alt. Verlage planten Bücher zum Jubiläum und sagen sie nun ab. Aus Rücksicht auf die anderen Autoren, denen man nicht zumuten könne, unter einem Dache mit einem potenziellen Holocaust-Leugner zu publizieren. Denn ist jemand, der zugibt, mit einem Holocaust-Leugner befreundet zu sein, nicht irgendwie selber einer? Darf man einen Irgendwie-könnte-sein-Holocaust-Leugner zum öffentlichen Vortrag laden? Also werden auch seine Lesungen abgesagt.

Wahrscheinlich ist er erstaunt darüber, dass die neue öffentliche politische Kultur, die er einst selbst mitbegründet hat, sich nun gegen ihn selbst wendet. Und die Neigung zeigt, als bloße Verdachtskultur zu enden.

Wir Toleranten haben nur einen Fehler: Wir sind manchmal intolerant – zur Erholung

Rolf Hochhuth macht etwas in der Mediengesellschaft höchst Riskantes. Er denkt. Wir Durchschnittsmenschen reihen meist Gedanken aneinander, die alle einen Nenner haben, und nennen das dann Denken. Und von denen jeder Teilgedanke isolierbar, also einzeln zitierbar ist. Das ist ganz wichtig. Hochhuths Gedanken aber haben ebenso viele Nenner wie die Wirklichkeit selbst. Und unsere Wirklichkeit ruht nun einmal auf historischen Voraussetzungen, die ungemein politisch inkorrekt sind. Politisch korrekt hätte Churchill nie den Krieg (mit) gewonnen. Sorry, Sikorski. Der Autor des „Stellvertreters“ ist das großräumige Denken gewohnt, darin ist er ein Mann von gestern. Darin ist er stockkonservativ. Und plötzlich ahnt man, warum Hochhuth der Jungen Freiheit Interviews gibt. Vielleicht, weil er keine Lust hat, dieser Ressentiment-Postille den Konservatismus zu überlassen.

Aber sollen wir darum nun alle die Junge Freiheit abonnieren? Es gibt einen Ausweg. Der Mann schreibt auch Bücher. In seinem letzten, „Nietzsches Spazierstock“, stehen allein drei Auschwitz-Gedichte.

Fotohinweis: Kerstin Decker ist Publizistin in Berlin