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Archiv-Artikel

„Die Feindschaft ist mir vertraut“

Der frühere DDR-Bürgerrechtler und erklärte Anti-Kommunist Joachim Gauck im taz-Interview über roten Terror, westdeutsche Kommunisten und das Gedenken an Widerstandskämpfer

INTERVIEW: ULLA JASPER

Joachim Gauck, der frühere Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, wird am Karfreitag in der Dortmunder Bittermark eine Rede zum Gedenken an 300 Nazi-Opfer halten, die in den letzten Kriegstagen 1945 von der Gestapo hingerichtet worden waren – darunter viele kommunistische Widerstandskämpfer.

Doch dass Gauck als Redner ausgewählt wurde, hat in den vergangenen Wochen zu einer erbitterten Auseinandersetzung geführt. Der Verband der Verfolgten des Naziregimes (VVN) wirft Gauck vor, die Gräuel des Nationalsozialismus mit kommunistischen Verbrechen gleichzusetzen und dadurch den braunen Terror zu verharmlosen. Sie berufen sich dabei auf ein Kapitel, das er im „Schwarzbuch Kommunismus“ veröffentlicht hat.

taz: Herr Gauck, Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie mit Ihrem Aufsatz im „Schwarzbuch“ die Verbrechen des Nazi-Regimes mit kommunistischen Verbrechen gleichgesetzt und relativiert haben. Ist „roter Terror“ gleich „brauner Terror“?

Joachim Gauck: Terror ist immer abzulehnen, insbesondere wenn er sich gegen Unschuldige richtet. Insofern ist die Abneigung von Demokraten gegen jegliche Form von Terrorismus und Staatsterrorismus gefordert. Aber zu einer Gleichsetzung des braunen und roten Terrors finden Sie von mir sicher kein Zitat.

Der VVN argumentiert, dass Sie die Verbrechen, die unter kommunistischer Herrschaft begangen worden sind, als „roten Holocaust“ bezeichnen.

Ich habe noch nie vom „roten Holocaust“ gesprochen. Aber meine Ablehnung der roten Verbrechen ist deutlich – und das stört die Kommunisten oder Ex-Kommunisten. Aber die Feindschaft der unaufgeklärten Linken mir gegenüber ist mir seit Jahren vertraut. Auch das, was ich früher als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen gemacht habe, passte ihnen nicht. Aber mir passte auch nicht die Gegenwart vieler Kommunisten aus dem Westen auf den Feiern meiner Unterdrücker in der DDR.

Aber im Schwarzbuch werden die Opferzahlen beider Systeme einander gegenüber gestellt. Durch diesen Vergleich relativiert man doch, oder?

Vergleichen hilft: man sieht Unterschiede und Gemeinsamkeiten deutlicher. Die ernsthaften Zahlen der Wissenschaft bezüglich der Opfer des Kommunismus sind so furchtbar und so erschreckend, dass man wirklich sagen kann, man verfehlt ja die Hälfte der Realität, wenn wir diesen Teil der Opfer nicht wahrnehmen und uns nur die Opfer der braunen Diktatur vor Augen führen. Mir geht es ja nicht um einen Paradigmenwechsel: Was ich fordere, ist eine Paradigmenergänzung bei der Aufarbeitung von diktatorischer und totalitärer Vergangenheit. Man nützt doch niemandem, wenn man die Opfer eines gigantischen Menschenverbrechens wie des Herrschaftskommunismus nicht beachtet. Mit einer Relativierung der NS-Verbrechen hat eine solche Sicht aber nichts zu tun. Im Politikdiskurs dürfen wir unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf eine Art von Verbrechen gegen Menschen richten, sondern wir müssen uns mit jeder Art von Angriffen gegen die Menschenwürde auseinander setzen – also auch mit den Verbrechen des Kommunismus. Aber man merkt immer wieder, dass es ein Unterschied ist, ob die Aufarbeitung der Vergangenheit von Kommunisten oder von Demokraten geleistet wird.

Sie haben also kein Verständnis für die Befürchtungen der Opferverbände, dass der kommunistische Widerstand geschmälert wird, wenn ein erklärter Anti-Kommunist die Gedenkrede hält?

Ich habe keinerlei Verständnis für die Anhänger der politischen Gegenaufklärung. Aber wenn Sie sich meinen Aufsatz im Schwarzbuch ansehen, werden Sie feststellen: So sehr ich die Erinnerung an den Herrschaftskommunismus auch problematisiere, so habe ich doch all denen, die in Zeiten der Diktatur und Unterdrückung als Kommunisten Widerstand geleistet haben, immer Achtung und Respekt entgegen gebracht. Ich habe schon deshalb viel Respekt für diese Menschen, weil sie auch dann noch Widerstand geleistet haben, als viele andere das schon lange aufgegeben hatten. Das habe ich auch im Schwarzbuch so geschrieben, aber die Leute vom VVN haben das offensichtlich nicht gelesen.