: Liegestützen halten jung
Hauptsache gesund: Die Botschaften von Billy Idols neuen Songs sind nicht gerade eine Motivation, Englisch zu lernen. Auf seinem Comeback-Album „Devil’s Playground“ gibt er pünktlich zu seinem 50. Geburtstag den Teufel, der nicht altern will. Die gerechte Strafe für Leute, die nichts dazulernen
VON ANDREAS MERKEL
Fast hätte man den Wagen an den Brückenpfeiler gesetzt. Stand da nicht eben was von „Billy Idol“? Das große Plakat hinter der Ampel sah aus, als kündigte es im Rahmen des ja nun auch schon wieder ein paar Jahre vor sich hin greisenden 80er-Revivals eine neue tschechische Musicalproduktion im Estrel-Center Berlin-Neukölln an: „Billy Idol – Devil’s Playground“, das wilde Leben des ‚Rebell Yell‘-Rockers jetzt auf der Bühne! Auf dem Bild lässt sich ein Billy-Double aus der Tür einer düsteren Spelunke hängen: Lederjacke überm nackten Oberkörper, Bauchmuskeln zu einem extremen Sixpack trainiert, Haare blondiert und perfekt diesen fiesen In-die-Fresse-Blick imitierend. Doch dann wird klar: Dies ist kein schlechter Scherz, sondern tatsächlich der wahre Billy Idol – was vielleicht doch auf dasselbe hinausläuft.
Denn Billy Idol, geboren im englischen Middlesex als William Michael Albert Broad – sein Künstlername basiert auf einem Wortspiel mit der Anekdote: „When I was a kid in school a teacher once wrote William is idle“ –, hat pünktlich zum 50. Geburtstag noch mal ein neues Album eingespielt und es „Spielplatz des Teufels“ genannt.
Es beginnt mit „Super Overdrive“, druckvollem Mainstream-Schweinerock. An der Gitarre ist wieder der alte kongeniale Mitstreiter Steve Stevens, produziert hat wie einst bei „Rebell Yell“ Keith Forsey, und auch sonst ist alles wie früher. – „Hat hier jemand Punk gesagt?“, fragte die Frankfurter Rundschau letzte Woche aus diesem Anlass, und es stimmt ja: Billy Idol stammt aus einer Zeit, als Popstars noch Comicfiguren sein durften.
Obwohl er Ende der Siebziger drei Alben mit den Sex-Pistols-Epigonen Generation X eingespielt hatte, war Billy Idol natürlich genauso wenig „Punk“, wie Duran Duran „Disco“ oder The Police „New Wave“. Denn Anfang der Achtziger ging er in die USA und wurde dort einer der ersten Stars des gerade gegründeten MTV, für das hierzulande noch das halbstündige „Formel Eins“ herhalten musste: „Rebell Yell“ war die erste Chromdioxidcassette, die ich mir gekauft habe, mit der supercoolen Schnulze „Eyes without a Face“. Der Text war nach gerade mal einem Jahr Englischunterricht damals noch komplett unverständlich und heute weiß man: Schöner war es so! Der Rest stand in der Bravo.
Seinen größten Erfolg hatte Idol kurz darauf mit der Nummer-eins-Single „Mony Mony“, jedoch deutete sich bereits im 1987 veröffentlichten Shotgun-Remix der grandios überproduzierten Disconummer „White Wedding“ der künstlerische Abstieg an: Im Mittelpart wird plötzlich eine Synthi-Fanfare wie aus dem ZDF-„Hitparaden“-Trailer eingeblendet! Darauf folgten die Supermarktradio-Hymne „Sweet Sixteen“ – bezeichnenderweise sein größter Erfolg in Deutschland –, ein schwerer Motorradunfall, eine Überdosis Drogen und eine Überdosis Alben, die keiner mehr hören wollte.
Was er denn um Himmels willen die ganzen Jahre danach gemacht habe, wird Billy Idol jetzt in Interviews gefragt. – Viel Mineralwasser getrunken, regelmäßig trainiert und seinem Sohn beim Baseball zugeschaut, ist die erstaunlich abgeklärte Antwort von jemandem, der ansonsten in seinem Lebenslauf kein auch nur irgendwie nach Rock ’n’ Roll klingendes Erlebnis unerwähnt lässt. Wie zum Beispiel, dass er 1967 bei den Pfadfindern rausgeflogen wäre, weil er mit einem Mädchen rumgemacht hätte. Oder dass er 1987 seine erste Harley Davidson gekauft habe, offensichtlich ein einschneidendes Ereignis, fürwahr. Geht es doch in den meisten der neuen Songs irgendwie darum, viel auf dem Motorrad unterwegs zu sein und dabei zu Erkenntnissen zu kommen wie der, dass es gut ist, gesund zu bleiben.
„Devil’s Playground“ – und das ist die gute Nachricht – beinhaltet denn auch nicht eine Ballade à la „To Be a Lover“. Dafür mit 13 Songs vielleicht etwas zu viel gut produzierten Gitarrensoli-Rock im Uptempo-Bereich. Auf Titeln wie „Body Snatcher“ oder „Evil Eye“ geriert sich der gut bei Stimme gebliebene Idol immer noch so, als könnte er auch den Teufel in einem Chris-de-Burgh-Video mimen. Es wird noch einmal eng für Meat Loaf!
Ansonsten wurde mit „Scream“ ebenso zielsicher wie wagemutig der dumpfeste Track des ganzen Albums zur ersten Singleauskopplung gewählt. Textprobe: „You’re the lock, I’m the key, I’m on my lemon tree“ – nicht so schlimm, wenn man immer noch kein Englisch kann. Okay, und wenn man dann fertig ist mit der ganzen Child-of-the-80s-Häme und dem Schock, wie vergangen das mittlerweile alles ist, muss man zugeben, dass Billy Idol tatsächlich ein Album gelungen ist, durch das man sich auf dem CD-Player gut gelaunt hindurchskippen kann. Man kann dazu auch Liegestütze machen oder sich drei Songs fürs Auto aufnehmen. Es von vorne bis hinten durchzuhören, wäre allerdings ein bisschen zu hart.
In diesem Monat beginnt Billy Idol seine Welttournee, und Achtung, Endvierzigerinnen aller Länder: Billy ist wieder Single! Also alles anschnallen, es kann noch einmal Frühling werden.