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Archiv-Artikel

Dreck-Rekord in der Bayernmetropole

München verstößt wohl als erste Stadt Deutschlands gegen die Feinstaub-Richtlinie der EU. Am Donnerstag wurde zum 35. Mal der für die Partikel aus Dieselfahrzeugen erlaubte Höchstwert überschritten. Welche Maßnahmen man nun trifft, ist unklar

AUS MÜNCHEN UND BERLINJ. SCHALLENBERG UND S. BERGT

Die Landshuter Allee ist eine der wenigen Straßen in München, an der man billig wohnen kann. Das hat seinen Grund: Tag für Tag wälzt sich der Verkehr in rekordverdächtigen Ausmaßen über die meist sechsspurige Straße, die einen Teil des mittleren Stadtrings bildet. Nicht nur Pendler sind hier unterwegs. Es staut sich vor allem der Schwerlastverkehr gen Süden.

Wer hier wohnt, wundert sich kaum, dass die Feinstaub-Mess-Stelle mit der Bezeichnung Deby 115 die höchsten Belastungen in ganz Deutschland misst. Deby 115 steht direkt an der Landshuter Allee. Der EU-Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft wird hier regelmäßig um mehr als das Doppelte übertroffen. Nach der seit 1. Januar 2005 geltenden EU-Richtlinie darf diese Grenze an maximal 35 Tagen im Jahr überschritten werden. An der Landshuter Allee war es bereits am Gründonnerstag so weit: Zum 35. Mal überstieg die Feinstaubdichte den erlaubten Grenzwert. Damit dürfte München in Kürze die erste Stadt in Deutschland sein, die gegen die Vorgabe verstößt. Was das bedeutet, ist allerdings unklar. Konkrete Maßnahmen hat die EU bislang nicht vorgegeben.

Eine Musterklage ist deshalb bereits vorbereitet – von einem Mitglied der Grünen, der direkt am Mittleren Ring wohnt. Dieter Janacek, 28, berichtet über „Atembeschwerden und Kopfschmerzen“, seit er an die Landshuter Alle gezogen ist, zudem fühlt er sich „oft matt und müde“. Unterstützt wird seine Klage von mehreren Umweltverbänden.

Die geruchlosen, unsichtbaren Feinstäube sind nach medizinischen Erkenntnissen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Lungenkrebs verantwortlich. Laut einer EU-Studie sterben in Deutschland pro Jahr 65.000 Menschen an ihren Folgen.

Die rot-grüne Mehrheit im Münchner Stadtrat hat sich seit vergangenem Sommer auf mehrere Modelle gegen die Feinstaub-Belastung geeinigt. Die Politiker fordern in erster Linie ein Durchfahrtsverbot für Transit-Lkw, die den Mittleren Ring nutzen, um die Autobahnmaut auf der A 99 zu sparen, die um die Stadt herumführt. Auch Sperrungen des Rings und ein Fahrverbot für Autos ohne Rußfilter sollen möglich sein, zudem will der Stadtrat Umweltzonen einrichten, in der nur emissionsarme Fahrzeuge unterwegs sein dürfen. Die Grünen liebäugeln auch mit einer City-Maut nach dem Vorbild von London.

Doch der Stadt sind einstweilen die Hände gebunden, denn die Bezirksregierung von Oberbayern muss den Plänen der Stadt zustimmen – dort wartet man aber ein wissenschaftliches Gutachten ab, das Mitte April vorliegen soll. Der bayerische Umweltminister Werner Schnappauf (CSU) tut die Ideen von Rot und Grün in München als „veraltete Ökoideologie“ ab. Er schiebt die Schuld auf Brüssel und Berlin. Dort habe man versäumt, „den Kommunen vorzuschreiben, welche Maßnahmen sie ergreifen müssten“. Immerhin: Als Sofortmaßnahme will der Minister unter anderem die Straßenreinigung verbessern – da mit dem Straßenstaub auch der Feinstaub ständig aufs Neue vom Verkehr aufgewirbelt werde.

Auch in anderen Städten bereitet man sich auf Maßnahmen gegen den Feinstaub vor. Vor allem soll der Verkehr „verstetigt“ werden, also besser fließen. Eine der am stärksten belasteten Städte ist Duisburg. Nicht nur wegen des Straßenverkehrs, sondern auch wegen der Industrie hielt Duisburg schon 2003 die damals noch lockereren Toleranzwerte nicht ein. Daher setzt die Stadt nicht nur auf die Stau-Vermeidung und Umlenkung der Lkws, sondern auch auf die Mithilfe der Industrie. In Berlin gibt es schon einen „Luftreinhalteplan“. Der umfasst neben Verstetigung, Tempolimit, Verkehrsumleitungen und Parkraumbewirtschaftung auch eine Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs. Obendrein denkt die Stadt über Fahrverbote für alte Dieselfahrzeuge nach.

Noch keinen Aktionsplan für den Ernstfall hat Köln. Allerdings liegt die Stadt erst bei vier überschrittenen Tagen. Auch in Hamburg ist man zuversichtlich. Die Westwindlage hält die Messwerte niedrig. Überhaupt sind die norddeutschen Städte im Vorteil: Wind verteilt den Feinstaub, Regen drückt ihn auf die Straße und spült ihn in die Gullis.

Noch wenig ausgegoren sind dagegen generelle Fahrverbote und City-Maut. Für beide Maßnahmen wäre eine gesetzliche Grundlage nötig, die Städte können sie nicht im Alleingang einführen.