: Eine Geschichte aus Licht
LEUCHTREKLAME Noch besteht das Buchstabenmuseum nur aus einem Schaudepot. Bald soll daraus ein echtes Museum entstehen. Barbara Dechant und Anja Schulze sammeln alte Leuchtschriften und stellen sie aus
VON MARTIN CONRADS
Es war ein Glücksfall für die Kommunikationsdesignerin Barbara Dechant. Als sie gebeten wurde, von der Fassade des Barockhauses am Checkpoint Charlie gestohlene Frakturbuchstaben nachzubauen, tauchten plötzlich die Werbeschilder mit dem Schriftzug des legendären, im letzten Jahr am gleichen Ort geschlossenen Café Adler auf.
Dechant zögerte nicht lange und nahm die beiden Schilder zum Zweck der Pflege kollektiver Erinnerung an sich: gemeinsam mit Anja Schulze, hauptberuflich in der Öffentlichkeitsarbeit beim Stadtmuseum Berlin tätig, betreibt sie seit 2005 das Buchstabenmuseum. Sein Ziel ist es, Schriftzüge und Elemente alter Leuchtreklamen vor der Verschrottung zu retten und als Schauobjekte der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Die Tafeln mit dem nicht ganz korrekten Schriftzug des Café Adler – statt eines Akzents ziert ein Apostroph das „Cafe“ – sind zwar bloß beschriftete Tafeln, doch wegen ihres Lokalkolorits nahm man sie in die Sammlung auf, die vor allem aus Leuchtbuchstaben besteht.
Barbara Dechant hegt seit langem eine Liebe zur Typografie. Ihre Kollegin Anja Schulze brachte aus der Museumsarbeit Ideen mit, und so wurde vor über vier Jahren der gemeinnützige Verein Buchstabenmuseum gegründet.
Der Verein beließ es nicht beim Sammeln: Im Schaudepot, einem Ladenlokal am Spittelmarkt in Mitte, kann an jedem zweiten Samstag im Monat ein Teil der Sammlung besichtigt werden. Hier entdeckt man alte Bekannte aus dem Berliner Stadtbild wieder, die man längst verloren glaubte: typografische Zeichen von Schuhgeschäften, Restaurants, Kaufhäusern, U-Bahn-Eingängen.
Die Buchstaben erzählen mehr als bloße Designgeschichte – sie sind auch Fußnoten einer Geschichte von Stadtumbau und Globalisierung. So gehören Buchstaben vom Haus des Deutschen Demokratischen Rundfunks ebenso zur Sammlung wie die einst ausgetauschten Buchstaben „HAUP“ des ehemaligen Ost-Berliner Hauptbahnhofs und jetzigen Ostbahnhofs. Ein „M“-Logo der ehemaligen Berliner Markthalle (heute Berlin-Carré) findet ebenso seinen Platz wie der Schriftzug der alten Rathauspassagen am Alexanderplatz. Wer sich fragte, wohin der für die Kreuzberger Skyline einst so charakteristische „DeTeWe“-Schriftzug der mittlerweile von einem kanadischen Unternehmen aufgekauften Deutschen Telephonwerke in der Zeughofstraße gelangt ist, findet ebenso eine Antwort wie diejenige, die sich nach dem G aus dem „Bewag“-Schriftzug zurücksehnt, das sofort als solches zu erkennen ist.
Die ehemaligen Besitzer der von Schulze und Dechant nicht selten durch Zufall und mit einer Portion Glück, aber auch mit Spürsinn aufgetriebenen Werbeschriften sind meist froh, wenn sie für die oft großformatigen Objekte keine Verschrottungsgebühren zahlen müssen. Schulze und Dechant übernehmen sogar die Kosten für den Transport der Objekte. Die Räume des Schaudepots stehen inzwischen kurz davor, aus allen Nähten zu platzen – nicht selten handelt es sich bei den gezeigten Objekten um ganze Buchstabenreihen von über zwei Metern Größe. Dechant und Schulze bemühen sich daher um Vermittlungsarbeit: Sie haben ausgewählte Buchstaben mit Informationskarten versehen, geben den internationalen Besuchern Auskunft über jedes einzelne Objekt und dessen Geschichte und verschicken Newsletter. Ziel ist es, bald tatsächlich zur Museumsgründung überzugehen und die Sammlung in größeren Räumen zu präsentieren. Von Wechselausstellungen, Führungen, Kinderprogrammen und einem Museumsshop ist die Rede.
Die beiden Frauen halten ihren Plan für realistisch: Das Interesse an ihrem Projekt nehme beständig zu. Nicht zuletzt die Notwendigkeit einer Sensibilisierung für die Bewahrung derzeit verschwindender visueller Gestaltungselemente der Stadt des 20. Jahrhunderts könnte ihnen in die Hände spielen: Neuere Konzepte für Werbemittel setzen nicht mehr auf die in der Herstellung relativ aufwändige individuelle Gestaltung von Neonschriften, sondern etwa auf Plasmatechnologie. So wird das Sammeln stadtbekannter, historisch oder typografisch wertvoller Leuchtelemente zu einer kulturellen Aufgabe für die Allgemeinheit.
Derzeit bemühen sie sich darum, den Neon-Schriftzug „Zierfische“ zu erhalten, der eine Hauswand am Frankfurter Tor schmückte, bis das entsprechende Geschäft Anfang 2009 aufgrund der Pleite geschlossen wurde. Mit der Aktion „Rettet die Zierfische!“ bitten Schulze und Dechant dabei erstmals um Spenden für den Erwerb einer leuchtenden Wegmarke. Knapp 1.000 Euro fehlen noch bis September. Zum ersten Mal gilt für ihre Sammlung: Words don’t come easy.