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Archiv-Artikel

Ein neues Loch im Eimer

Das Leben in der Moderne ist teuer erkauft. Mit jeder Unannehmlichkeit, die der technische Fortschritt überwindet, produziert er neue Gefahren. Diesmal: Feinstaub. Da hilft nur Management

VON NATALIE TENBERG

Das Thema Feinstaub macht Karriere. An der tatsächlichen Belastung hat sich zwar seit Jahren nichts geändert, wohl aber an dem öffentlichen Interesse, das diese unsichtbaren und gesundheitsschädlichen Partikel hervorrufen. So viel gefühlter Feinstaub war noch nie in Deutschland. Seitdem die EU-Feinstaubrichtlinie in Kraft getreten ist, Städte gegen diese verstoßen und in Folge von Bürgern verklagt werden, ist Staub zum Topthema geworden.

Es herrscht ein regelrecht übersteigertes Interesse – nicht etwa, weil das Thema kein ernstes wäre, sondern weil jene überhitzte Debatte erforderlich ist, um das Thema rasch zu verdrängen. Eine Voraussetzung der Moderne: Reduzierung von Komplexität.

Wurde zuerst bekannt, wie belastet vor allem die Hauptverkehrsstraßen in Großstädten sind, wächst proportional zu der Anzahl an Experten, die sich zu Wort melden, das Problem. So wurde etwa Prof. Dr. Michael Braungart vom Hamburger Umweltinstitut in den „Tagesthemen“ interviewt. Seine Aussage: Innenräume seien noch viel höher belastet als die Außenluft.

Müssen wir erst recht in Panik verfallen? Nein, müssen wir nicht, denn Prof. Dr. Braungart hat auch hierfür eine Lösung, wenn keine einfache: Feinstaubmanagement.

Für so manch einen mag „Feinstaubmanagement“ schon jetzt zu den Anwärtern für das Unwort des Jahres zählen, so stellt es aus kulturtheoretischer Sicht jedoch nichts anderes dar als ein neuerliches Bild für den Diskurs der Moderne: Probleme, die durch Technik entstehen, lassen sich bewältigen, aber eben nur mit einem Mehr an Technik.

Die Annehmlichkeiten des Lebens in einer modernen Gesellschaft mit technischem Fortschritt werden mit einer steigenden Komplexität erkauft. Diese muss immer wieder auf ein Neues überwunden werden. Externalitäten entstehen, das heißt, die Auswirkungen der Handlung Einzelner müssen von mehreren getragen werden. Die Bekämpfung der negativen Externalitäten bezahlt jeder Einzelne. Das macht die Sache mit den angenehmen Seiten oft so anstrengend. Ein Teufelskreis setzt sich in Gang. Henry hat einen Eimer, der Eimer hat einen Loch, aber wie flicken?

Gerade heißt das Loch im Eimer der Zivilisation Feinstaub. Gefahr droht für Körper und Seele. Doch Feinstaub ist keine Selbstverständlichkeit der Natur, der Mensch hat ihn selbst produziert. Wie so oft, wenn es darum ging, die Natur mit den Mitteln des Fortschritts zu zivilisieren – man erinnere sich an den sauren Regen, Atomwaffen, Fluglärm, Ozonloch und Acrylamid. Ist der Schaden da, muss er bekämpft werden.

Als notdürftige Maßnahme gegen Feinstaub spritzt die Stadt Düsseldorf ihre Straßen mit Wasser ab, um die Partikel zu binden. Aber was hilft, wenn der Feinstaub in der Wohnung lagert? Die einzige vernünftige Gegenmaßnahme also: Feinstaubmanagement. Das Handbuch des Lebens erhält einen weiteren Anhang und ist wieder ein Stück weit komplexer.

Letztlich heißt dies: die Anforderungen der Moderne steigen, je weiter die Zivilisation voranschreitet. Gleichzeitig nimmt ebenjenes Unbehagen an dieser kultivierten Natur zu, das sich unter anderem in hysterischen Mediendebatten artikuliert: die Angst, dass der Fortschritt in seinen Auswüchsen irgendwann unbeherrschbar werde.

Wer den Feinstaub überwachen und kontrollieren will, der muss in den Innenräumen anfangen, Staubsauger mit Partikelfilter kaufen, Drucker und Kopierer abdichten, auch ihnen entweicht Feinstaub, das Bett nicht mehr aufschlagen und das Rauchen aufgeben. Zu guter Letzt, das wirksamste Mittel gegen Feinstaub: Ruhig liegen, sodass kein Staub aufgewirbelt wird, und ein feuchtes Tuch über Mund und Nase legen.

Wer aber mit einem feuchten Tuch auf dem Gesicht auf dem Bett liegt, nimmt nicht am Le- ben der Gesellschaft teil, und ganz sicher begibt er sich damit in ganz andere Gefahren, die noch aufgedeckt werden müssen. Ein Leben nach allen Regeln, die gut und richtig sind, ist nicht nur extrem schwierig, sondern auch unrealistisch. Die Regeln widersprechen sich häufig selbst und das Leben im Sauerstoffzelt ist eben nichts für jeden.

Ist es da nicht verständlich, dass sich viele Menschen dem objektiv Richtigen entziehen? Wenn das Bild der Zukunft so düster aussieht, dann genießen sie lieber das Heute, solange es noch währt. Und das möglichst sorgenfrei. Außerdem: Vieles von dem, was an einem Tag als Fortschritt gepriesen wird, stellt sich allzu oft später als Belastung heraus.