Die deutschen haben den Papst in seiner Modernität nie verstanden : Der Wojtyła-Komplex
Die Deutschen haben sich schwer getan mit diesem Papst wie wohl keine andere Nation. Erst das öffentliche Sterben ließ die veröffentlichte Meinung akzeptieren, dass es in seinem Pontifikat auch helle Seiten gab. Doch selbst die Wojtyła-Konjunktur, die seinen letzten Wochen heranbrach und an diesem Wochenende ihren Höhepunkt erreicht, fremdelt noch mit ihrem Gegenstand: „Der Unsterbliche“, schreibt der Spiegel über seine Titelgeschichte zu dem, der gerade stirbt. Der erste Pole im Vatikan ist nirgends so unverstanden geblieben wie in Deutschland.
Die Gründe dafür werden gewöhnlich in der Biografie des Papstes gesucht. Schon seine östliche Herkunft mache ihn unmodern. Seine Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur zudem unfähig, offene Gesellschaften zu verstehen. Diese Argumentation ist nicht nur dünkelhaft, sondern irrig. Die Ursache für die gestörte Beziehung der Deutschen zum polnischen Papst liegt nicht in seiner Geschichte, sondern in unserer. Darüber nachzudenken, warum Johannes Paul II. in Deutschland so schlecht ankam, heißt deshalb über dieses Land nachdenken.
Die gestörte Beziehung der Linken zum Papst ist dabei noch erklärbar. Er war schließlich ein beinharter Konservativer. Bemerkenswert ist nur, mit wie viel Abscheu sein Katholizismus auf der Linken bekämpft wurden. Selbstverständlich darf die katholische Kirche die Abtreibungsgesetzgebung in einer freien Gesellschaft nicht bestimmen. In der linken Debatte galt aber lange Jahre schon die katholische Position als solche als Skandal. Die traditionelle katholische Hybris in Moralfragen kollidierte in Westdeutschland mit einer alternativen Linken, die ihre Positionen selbst nicht nur politisch, sondern auch moralisch für überlegen hielt. Der säkulare Hochmut gegenüber dem Glauben ist dabei gerade in Deutschland erstaunlich – dem Land, in dem die Aufklärung auch Auschwitz möglich gemacht hat.
Auch die deutsche Rechte hatten im Papst nur einen temporären politischen Bündnispartner, nie einen echten Verbündeten, geschweige denn ein Idol. Anschlussfähig war natürlich der vatikanische Antikommunismus. Vor allem der konservative Machbarkeitswahn und der Ökonomismus sind mit dem Katholizismus von Johannes Paul II. jedoch kaum kompatibel: Eine Christdemokratie, die sich im Zweifel für die Interessen der Wirtschaft und nicht für die Interessen der Familie einsetzt, ist keine Christdemokratie im Sinne Wojtyłas. Linke und Rechte haben sich in Deutschland mit diesem Papst schwer getan.
Schwer gemacht hat es Johannes Paul II. vor allem den eigenen Leuten: Die Entschiedenheit und Kompromisslosigkeit der Positionen dieses Papstes war im Alltag kaum lebbar. Wer Wojtyła nicht als Diskussionspartner, sondern tatsächlich als unhinterfragbare Autorität annehmen wollte, geriet oft in echte Glaubensnot. Seine Empfehlung zum Umgang mit Geschiedenen oder Homosexuellen waren erbarmungslos.
Bei Anhängern und Gegnern war man sich in Deutschland immer einig, den Papst als rückständig zu sehen, als unmodern. Falscher hätte die Wahrnehmung nicht sein können. Johannes Paul II. hat immer eher auf das Bild gesetzt als auf das Wort. Während man sich in Deutschland an jeder seiner reaktionären Enzykliken abarbeitete, stellte er seine Botschaft selbst dar: Die Versöhnung mit dem Attentäter, der Dialog mit Juden und Muslimen, schließlich das Alter als Bestandteil des Lebens. Er hat Bilder geschaffen, die in Lateinamerika genauso verstanden werden wie auf den Philippinen. Das war radikal modern und den Kommunikationsverhältnissen der Globalisierung angemessen. Es geschah mit den neuesten Informationstechnologien, könnte aber von der Idee her kaum traditionell katholischer sein.
In den vergangenen Jahren hat in Deutschland ein Umdenken begonnen. Die säkulare Gesellschaft, die lange als Ideal oder naturgesetzlich zwingende nächste Entwicklungsstufe galt, wird jetzt skeptisch gesehen. Es wird akzeptiert, dass eine multikulturelle Gesellschaft auch multireligiös sein wird. Sogar Jürgen Habermas meint jetzt, religiöse Standpunkte bereichern unser Nachdenken über uns selbst. Diese müssen freilich ein Wertesystem einbringen, das die Gesellschaft aus sich selbst nicht hat. Dazu scheint ein Katholizismus à la Johannes Paul eher in der Lage als der zeitgeistanfällige deutsche Protestantismus.
Für die den weltweiten Dialog könnte ein neuer Papst noch wichtiger werden, als es Johannes Paul schon war. Der aggressiv missionarische Protestantismus ist ein rein nordamerikanisches Phänomen. Der Islam bleibt in seiner Kultur befangen. Der weltumspannende katholische Anspruch hingegen war nie so berechtigt wie heute, wo die Mehrheit der Gläubigen nicht in den reichen Ländern lebt. Viel spricht dafür, katholische Positionen künftig ernster zu nehmen. Sogar in Deutschland. ROBIN ALEXANDER