: Der Sozialunternehmer für Kulturhungrige
PANTER PREIS Viele Menschen können sich Kultur nicht leisten. Götz Wörner hat das geändert
■ Die KandidatInnen: Die sechs Nominierten, die eine taz-interne Vorjury ausgewählt hat, werden bis zum 25. Juli in der sonntaz vorgestellt, anschließend noch einmal alle zusammen. Weitere Informationen und alle Porträts zum Nachlesen unter www.taz.de/panter
■ Die Preise: Die taz vergibt den LeserInnenpreis und den Jurypreis. Beide sind mit je 5.000 Euro dotiert. Am 1. August beginnt die LeserInnenwahl. Abstimmen kann man mit einem Online-Formular auf taz.de/panter, per Fax an die Nummer (0 30) 25 90 21 50 oder per Postkarte an die taz, Panter Preis 2009, Rudi-Dutschke-Str. 23, 10969 Berlin. Einsendeschluss ist der 29. August 2009.
■ Die GewinnerInnen beider taz Panter Preise 2009 werden erst am 19. September auf der Bühne der Komischen Oper in Berlin bekannt gegeben.
VON MARLENE GIESE
Als die kleine rote Maschine rattert und dann eine Plastikkarte ausspuckt, macht Götz Wörners Herz fast hörbar einen Sprung. Gerade stellt er seinem 1.506. Kunden einen Kulturpass aus. Der sieht aus wie eine Kreditkarte, nur dass ein Gemälde von Marc Chagall die Vorderseite ziert. Hinten sind Name und Postleitzahl des neuen Inhabers vermerkt. Den Kulturpass bekommen Hartz-IV- oder Sozialgeld-Empfänger, Asylbewerber und Obdachlose bei Vorlage eines entsprechenden Nachweises. Er kostet 1 Euro und ermöglicht den Besuch des Städels, der Kunsthalle, diverser Theaterhäuser und anderer kultureller Einrichtungen in Frankfurt/Main für ebenfalls 1 Euro. Kinder zahlen die Hälfte.
„Frankfurt ist schon eine coole Stadt“ sagt Wörner, 49. Er meint das vielseitige kulturelle Angebot – das sich viele nicht leisten können. Fast 90.000 Menschen leben hier am Existenzminimum, und damit sind auch Kinotagpreise und ermäßigte Eintritte oft unerschwinglich. Von Konzerten und Theaterbesuchen ganz zu schweigen.
Genau das ändert der Kulturpass, und in besonderen Glücksfällen gibt es auch mal eine Karte für Udo Lindenberg. Im letzten Herbst hatte der dem Verein Kultur für ALLE e. V. dreißig Tickets zur Verfügung gestellt. Für Udo Lindenberg eine gute PR, für einige seiner Fans die einmalige Chance, ihren Star live zu erleben. „Ein Mittfünfziger, der in der DDR aufgewachsen ist, hatte Tränen in den Augen, als er die Karte in der Hand hielt“, erzählt Wörner und schiebt eine Strähne seines kastanienbraunen Haars hinters Ohr.
Geboren wurde der Kulturpass aus der eigenen Not. Wörner war zwanzig Jahre seines Lebens erfolgreicher Musikproduzent. „Ohne mich wäre lateinamerikanische Musik in Deutschland nicht, was sie heute ist“, sagt der Mann in dem grünen Leinenhemd und legt die Zigarette wieder weg. Auch als es nicht mehr so gut lief, kämpfte Wörner weiter. Es half nichts, der Laden ging pleite und Wörner mit ihm. Job los, Wohnung los, Sozialhilfe. Wörner war sowohl ökonomisch als auch seelisch am Ende. Dass etwas passieren musste, wurde ihm spätestens klar, als er sich den Eintritt zu einem Konzert von Gonzalo Rubalcaba nicht mehr leisten konnte – den kubanischen Pianisten hatte Wörner selbst einst mit seinem Label „Messidor“ in Deutschland bekannt gemacht. „Nur wer an Kultur teilhat, kann auch an der Gemeinschaft teilnehmen“, betont Wörner und hält einen knapp gehaltenen Vortrag über humanistische Ideale und die Bedeutung von Kultur für Bildung, Integration und Selbstwertgefühl. „Ein Museumsbesuch ist in jedem Fall besser, als sich um zwölf das erste Bier aufzumachen.“
Damit in Frankfurt künftig niemand mehr ausgeschlossen wird, hat Wörner, der immer noch von Hartz IV und inzwischen in einer günstigen Wohnung lebt, vor etwas über einem halben Jahr den Kultur für ALLE e. V. ins Leben gerufen. Sein Arbeitsplatz wechselt täglich. Er nutzt das jeweils leere Büro einer Schuldnerberatung, den Internetauftritt hat ein befreundeter Grafiker ermöglicht, das Papier für die ersten Flyer wurde ebenfalls gespendet.
Um Chagalls Bild „Commedia dell’arte“ für den Pass verwenden zu dürfen, rief der kunstaffine Sozialunternehmer persönlich bei den Erben in Paris an. Es soll bereits Fälle gegeben haben, in denen der Kulturpass ausschließlich wegen des bestechenden Artworks beantragt wurde. Im Gegensatz zu Arbeitslosenausweisen vieler Städte ist der Kulturpass ein Dokument, das man mit Stolz vorzeigen kann.
GÖTZ WÖRNER
Wörner hat einen weites Verständnis von Kultur. Dazu gehören Klassik genauso wie Punk, aber auch eine bewusste Ernährung. Und er hat es geschafft, Anbieter fast aller Bereiche für sein Projekt zu gewinnen. Ein Honigproduzent gibt jeden Freitag Imkerkurse, ein regionaler Weinproduzent lädt regelmäßig zu Verkostungen, und ein Koch führt Familien in die gesunde und preiswerte Küche ein. Alles für 1 Euro.
Und auf der Website gibt es neuerdings eine ganze Bibliothek Hörbücher und bald eine Onlinegalerie.
Wörners nächster Schritt soll die Verteilung der Ausgabestellen über die ganze Stadt sein. Ein Sozialmarkt und eine Wohnsitzlosenhilfe helfen schon mit. Möglichst bald soll es den Kulturpass in ganz Deutschland geben. Wörner hätte nichts dagegen, sein Projekt als eine Art Franchiseunternehmen weiterzugeben.