„Das ist schon schmerzhaft“

LITERATURPREIS Am Donnerstag bekommt der Journalist Max Scharnigg für seinen Roman „Die Besteigung der Eiger-Nordwand unter einer Treppe“ den Hamburger Mara-Cassens-Preis. Ein Gespräch über Provinzbuchhandlungen und das Verglühen der Ideen

■ 31, ist Redakteur bei jetzt.de. Seine „Hauptsatz“-Kolumne aus der Süddeutschen Zeitung ist 2010 als Buch erschienen, 2011 folgte sein Debütroman.  Foto: C. M. Oswald

taz: Herr Scharnigg, beim Wettlesen um den Bachmannpreis sind Sie mit Ihrem Debütroman durchgefallen. Jetzt haben Sie damit den Hamburger Mara-Cassens-Preis gewonnen. Welche der beiden Jurys hat keine Ahnung?

Max Scharnigg: Die Mara-Cassens-Jury ist eine Leser-Jury, keine Kritiker-Jury. Und wir Journalisten wissen ja, dass der Leser immer recht hat. Also tendiere ich dazu, der Cassens-Jury zu glauben. Nein, ernsthaft: Dass ein Text gleichzeitig gut ankommt und durchfällt, kommt ja nicht zum ersten Mal vor.

Gab es eine Reaktion, die Sie wirklich schwer getroffen hat?

Das waren die Online-Begleiterscheinungen der Bachmannpreis-Lesung. Es gibt inzwischen ja viele Blogger und Twitterer, die die Fernsehübertragung direkt kommentieren. Und da wird auch mal geschrieben: Wie scheiße sieht der denn aus, jetzt hat er sich verlesen, oh Gott, ich muss wegschalten. Und wenn man sich das in der Aufregung dieser Tage reinzieht, dann ist das schon schmerzhaft.

Wären Sie lieber nicht hingegangen?

Ach, wenn man für diesen Preis vorgeschlagen wird, sagt man natürlich nicht Nein. Gerade wenn man am Anfang steht. Mein Ausflug in die Belletristik hat mich immer auch unter dem Aspekt interessiert: Ich muss das mal ausprobieren. Ich möchte wissen, wie es ist, auf einer Buchmesse zu sein oder eine Lesetour durch Buchhandlungen zu machen.

Und? Was haben Sie über Lesetouren gelernt?

Es gibt ja immer noch in beinahe jedem Städtchen den sogenannten rührigen Buchhändler, der den Autor einlädt, weil er das Buch gelesen hat und gut findet. Dann kommt man da an, nach dreimal Umsteigen, und sieht sich der mobilisierten Stammkundschaft des Buchhändlers gegenüber. Die gehört eher der Generation meiner Eltern an, die aber mit ihrem Interesse und ihrer Beflissenheit sowohl den Autor als auch den Buchhändler ernähren und ja überhaupt den ganzen Mittelbau des Kulturbetriebs am Laufen halten. Wenn es diese Stammkundschaften nicht gäbe, wenn ich bei Lesungen in Stade oder Osnabrück auf meine Facebookfreunde zählen müsste, dann sähe es echt düster aus. Seitdem bin ich sehr dafür, Bücher im Laden zu kaufen und auch zwei, drei Worte mit dem Buchhändler zu wechseln.

Ihr Roman heißt „Die Besteigung der Eiger-Nordwand unter einer Treppe“. Was ist so faszinierend an der Eiger-Nordwand?

Ich hatte immer schon eine Neigung zu Alpinismus allgemein, mich faszinieren die Gerätschaften und Materialien der Bergsteiger. Außerdem ist diese Eiger-Nordwand ein unglaublich schöner, abstrakter Begriff. Jeder kann damit sofort diese Steilheit verbinden, diese Ausgesetztheit. Und diesen Begriff bringe ich an einen Ort, das Treppenhaus eines Mehrparteienhauses, das so gar nichts mit einem Berg oder einer Felswand zu tun hat, und kann sehr schön an der Überlagerung arbeiten, weil die beiden Sachen so trennscharf sind.

Wie schreibt man einen Roman?

■ Der „Mara-Cassens-Preis für den ersten Roman“ des Literaturhauses Hamburg wird seit 1970 vergeben und ist mit 15.000 Euro der bundesweit höchstdotierte Literaturpreis für ein Romandebüt.

■ Die Jury besteht aus Mitgliedern des Literaturhauses Hamburg, die allesamt nicht im Literaturbetrieb arbeiten.

Das ging so, wie ich es mir immer vorgestellt habe: als stete Arbeit an einem Werkstück. Ich habe das vor der Arbeit in der Redaktion gemacht, immer von 7 Uhr bis 9 Uhr, zu Hause. Das ging recht ordentlich, obwohl ich sonst nicht sehr streng bin mit mir selbst. Aber diese Morgenstunden, bevor der eigentliche Schreibtag losgeht und die ganzen Zeitungstexte auf einen einprasseln – das war eine Zeit, die mir sehr klar und rein vorkam. Ich habe es auch mal abends probiert, aber das ging gar nicht. Es ging nur morgens.

Und wie haben Sie geschrieben? Mit Karteikarten? Haben Sie die Dramaturgie an die Wand geklebt?

Ich hatte Skizzen, aber vor allem, um nichts zu vergessen. Die besten und schlüssigsten Verbindungen entstehen natürlich dann, wenn man nicht am Manuskript sitzt. Mir kommt es immer vor, als hätte ich eine Wunderkerze im Kopf, bei der die Ideen wie Funken wegsprühen und sofort verglühen. Und ich muss diese Dinger auffangen und in Ruhe ordnen: in Quatsch und in Sachen, die ich am Glühen halten will. INTERVIEW:
FLORIAN ZINNECKER

Die Preisverleihung am 5.1. im Literaturhaus Hamburg ist bereits ausverkauft.