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Archiv-Artikel

Godzilla zeigt Einsicht

NHL-Profi Olaf Kölzig wollte die Berliner Eisbären zur deutschen Meisterschaft führen. Doch nun behindert ihn eine Verletzung. Gut möglich, dass er heute gegen Ingolstadt passen muss

AUS BERLIN MARKUS VÖLKER

Die Verwandlung vollzog sich in der Umkleidekabine. Beim Training der Eisbären Berlin hatte sich Oliver Jonas noch in üppiger Montur gezeigt, mit dicken Beinschützern und Protektoren. Eishockeytorhüter sehen ja aus wie eine eckige Version des Michelin-Männchens. Ihre Mode ist quadratisch, praktisch, gut. Wenn Oliver Jonas (25) aber die Hüllen fallen lässt, dann mag man kaum glauben, was für ein Hänfling aus dem Kokon steigt. Der Mann mit den Spargelbeinen hat jedoch keine Angst vor schnellen Pucks. Jonas, 1,83 Meter groß und 84 Kilo schwer, hütet das Tor der Eisbären. In dieser Saison klappte das prima. Er war bis zu den Playoffs sechstbester Goalie der Liga, statistisch gesehen. 91,33 Prozent der auf sein Tor fliegenden Scheiben wehrte er ab. Doch dann kam Godzilla und machte Jonas Konkurrenz.

Godzilla wiegt 102 Kilo und ist 1,90 Meter groß. Olaf Kölzig (34) trägt diesen Spitznamen, der ihm von Mitspielern der Rochester Americans verpasst wurde – wegen seiner Statur und seines aufbrausenden Temperaments. Das ist lange her. Godzilla, mittlerweile die Ruhe selbst, geht immer noch auf Puckjagd. Das Monster ziert Kölzigs Schutzhelm. Der Helm ist samt Träger vor einigen Wochen bei den Eisbären eingetroffen und hat Oliver Jonas ziemlich erschreckt. Der dachte, er sei die unumschränkte Nummer eins im Kasten. Diese Überzeugung erwies sich nach Kölzigs Verpflichtung, von der Jonas aus der Zeitung erfuhr, als Irrglauben. Kölzigs Vita sprach eindeutig für ihn: Er hat in der Profiliga NHL reüssiert, stand mit den Washington Capitals 1998 im Finale um den Stanley Cup; er wurde zwei Jahre später zum besten Keeper der Liga gewählt. Jonas hingegen hat noch nie in der NHL gespielt, nur für die Harvard-Universität als Student.

Kölzig war zum Schnäppchenpreis von 40.000 Euro zu haben, weil es in der NHL zum Arbeitskampf und zur Absage der Saison gekommen ist. Trainer Pierre Pagé empfing „Olie the Goalie“ mit offenen Armen. Die Süddeutsche Zeitung beobachtete gar, Pagé spreche über den Neuen, „als sei ein Heiliger in die Niederungen der DEL herabgestiegen, um die mediokren Kufencracks zu erleuchten“. Jonas fremdelte indes heftig, äußerte seinen Unmut und interpretierte die Verpflichtung als Misstrauensvotum gegen seine Person. Gegen Kölzigs Vorzugsbehandlung ließ sich allerdings nichts ausrichten. Die Erfahrung des Älteren übertrumpfte den Ehrgeiz des Jüngeren. Dann verletzte sich Kölzig. Das rechte Knie macht ihm seit einiger Zeit zu schaffen. Knochensplitter befinden sich im Gelenk. Im ersten Halbfinalspiel gegen Ingolstadt stand trotzdem Kölzig im Tor – und spielte eine miserable Partie. Der EHC verlor zu Hause, im eigenen Palast aus Wellblech.

„Mein Kopf war nicht frei“, sagt er, „es war ein komisches Spiel.“ Sogar ein Tor per Bauerntrick kassierte er – eine Peinlichkeit für einen Keeper mit höchsten Ansprüchen. Das Knie habe immer wieder blockiert, er habe es ständig lockern müssen, erklärt er. „Aber im Spiel hat man nicht immer die Zeit dazu.“ Er räumt ein, nur 70 bis 80 Prozent seiner Leistung bringen zu können. „Es liegt nun an Pierre zu sagen, ob ich spiele oder nicht. Ich habe ihm signalisiert, dass ich prinzipiell bereit wäre.“ Am vergangenen Sonntag im zweiten Spiel musste Kölzig zuschauen. Jonas durfte ran – und hielt gut. Die Eisbären glichen in der Serie zum 1:1 aus. Wer darf nun am heutigen Donnerstag in der dritten Partie im Wellblechpalast (19.30 Uhr, Premiere) aufs Eis?

„Das entscheidet der Trainer“, sagt Jonas. Man sieht ihm an, dass er gern spielen würde, am liebsten immer. Das sagt er natürlich nicht. Was er sagt, ist: „Wir sind Kollegen. Es ist sicherlich eine nicht ganz so einfache Situation, aber ich denke, wir machen das zusammen.“

Torhüter müssen lernen, die knappe Ressource Einsatzzeit zu teilen, vor allem junge Goalies. In seiner langen Karriere hat Olaf Kölzig auch Konkurrenten vor die Nase gesetzt bekommen, 1994/95 bei den Washington Capitals beispielsweise Jim Carey. Nach einer Zeit der Frustration hat Kölzig sich damals entschieden, die Herausforderung anzunehmen. Das rät er auch Oliver Jonas. „Er war am Anfang angefressen, klar, es ist ja auch nicht so leicht, aber mir ist es auch zweimal in der NHL passiert. Man muss damit umgehen können.“ Jonas spiele derzeit gut, es gebe keine Not, aufs Eis zurückzukehren, sagt er. Jonas könne 100 Prozent geben. Er nicht. Das gibt er unumwunden zu: „Ich will, dass wir jedes Spiel gewinnen, also werde ich wohl nicht mehr spielen.“ Godzilla kann sehr einsichtig sein.