: „Die Gehälter sind zusammengekracht“
ÜBERLEBEN Es gibt in der Weiterbildung prekäre Beschäftigung, kritisiert Ver.di-Fachsekretär Roland Kohsiek. Arbeitsagentur betreibe ruinösen Preisdruck. Beschäftigte zögen wie Wanderarbeiter von Träger zu Träger
■ 59, ist studierter Lehrer und leitet seit 2001 im Ver.di-Landesbezirk Hamburg den Fachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung, zu dem auch Arbeitsmarktpolitik gehört.
INTERVIEW KAIJA KUTTER
taz: Herr Kohsiek, Kursleiter der Volkshochschule haben gerade eine Protestaktion mit Postkarten gestartet, weil sie seit 17 Jahren keine Honoraranhebung hatten. Manche müssten ergänzend Hartz IV beantragen. Die zuständige Schulbehörde sagt, dass was die verdienen, 24 Euro pro Kursstunde, sei im Branchenvergleich gut. Stimmt das?
Roland Kohsiek: Wenn ich die Branche sehr breit fasse, kann ich sagen, ja, es gibt Honorare, die sind schlechter, aber eben auch deutlich bessere. Den Verweis der Behörde halte ich für unredlich und zynisch. Die Volkshochschule ist ein eigener Bereich. Dort gibt es Kursleiter, die sind hauptberuflich tätig. Von einem Honorarstundensatz von 24 Euro kann kein Mensch akzeptabel leben. Der Protest ist sehr gerechtfertigt. Ich wünschte mir, dass er auf die anderen Honorarverträgler in Hamburg überspringen würde.
Warum wird so schlecht bezahlt? Gibt es zu viele, die Bildung anbieten können? Ein akademisches Prekariat?
Ja. Wir kennen es aus dem Bereich Medien und Zeitungen, im Bereich der Hochschulen, dort sind mittlerweile ein Großteil der wissenschaftlichen Mitarbeiter befristet beschäftigt. Und wir haben vor allem in der Weiterbildung prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Das droht im Bereich der Bildung eine allgemeine Tendenz zu werden. Diese schlechten Beschäftigungsbedingungen werden einerseits aus nackter Not akzeptiert, zum anderen aber auch, weil es ein großes Bedürfnis nach sinnhafter Tätigkeit gibt. Viele sagen: Ich arbeite gerne mit Menschen, auch wenn ich dort schlechte Bedingungen habe.
Wie viele Beschäftigte in der Weiterbildung sind gewerkschaftlich organisiert?
Wir haben in der Branche von 2003 bis 2006 eine große Krise durchgemacht und dadurch viele Strukturen mit aktiven Mitgliedern verloren. Aber Ver.di hat seit ca. zwei Jahren steigende Mitgliederzahlen in diesem Bereich. Es gibt keine spektakulären Erfolge, aber wir lenken Aufmerksamkeit auf die Probleme der Branche.
Gibt es einen Mindestlohn?
Es wird seit fünf Jahren darum gerungen und vielleicht sind wir kurz vorm Ziel. Aktuell liegt ein Mindestlohntarifvertrag für die Weiterbildung beim Tarifausschuss des Bundesarbeitsministeriums, mit dem Ziel der Allgemeinverbindlichkeit.
Wie hoch wäre dieser Lohn?
Er ist jetzt bei 2150 Euro brutto für 39 Stunden. Das ist ein absoluter Mindestlohntarifvertrag. Um die Dimension zu zeigen: Das ergibt ein Jahresbrutto von etwa 25.800 Euro. Wir hatten vor zehn Jahren in der Weiterbildung Durchschnittsgehälter von 35.000, auch mal 40.000 Euro Jahresbrutto. Die sind einfach zusammengekracht. Es gibt in Hamburg Träger, die Zahlen unter 2000 Euro im Monat.
Hamburg zahlt 19 Millionen Euro an den Bund zurück, weil Geld für die Hilfe von Langzeitarbeitslosen in 2011 übrig ist. Es soll daran liegen, dass kaum noch Bildungsgutscheine verteilt wurden. War das für die Branche zu merken?
Ja. Es war deutlich spürbar, weniger Maßnahmen und weniger Teilnahmen.
Haben das die Beschäftigten in der Weiterbildung gespürt?
Das ist so. Wir haben bereits im Herbst 2011 allein in Hamburg einen Abbau von 200 bis 300 Beschäftigten konstatiert, verschärft durch die drastischen Kürzungen bei den 1-Euro-Jobs. Zum Jahresende haben bei Bildungs- und Beschäftigungsträgern wohl gut 500 Menschen ihre Arbeit verloren.
Kommen die leicht unter?
Das kommt drauf an. Nur wenn man eine gute handwerkliche oder sehr spezielle Qualifikation hat, schon. Für jene mit allgemeineren Qualifikationen sieht es schlechter aus. Teilweise reihen die sich ein in eine Entwicklung, die wir ganz nüchtern die neuen pädagogischen Wanderarbeiter nennen. Die wandern mit immer neuen befristeten Verträgen von Träger zu Träger.
Wie bewerten Sie die Kürzungen inhaltlich? Gab es für Bildungsgutscheine Maßnahmen, die nichts brachten?
Es gibt immer Maßnahmen, über die man streiten kann. Je kürzer, desto eher kann man diese Frage stellen. Dreimonatige Trainingsmaßnahmen nützen oftmals nicht viel. Noch dramatischer ist das bei vierwöchigen Kursen oder reinen Bewerbungstrainings. Im großen und ganzen aber war und ist die Arbeitsmarktpolitik sinnvoll, das gilt insbesondere für die Qualifizierungsmaßnahmen. Und zwar vor allem, wenn es längere und abschlussqualifizierende Maßnahmen sind. Der Kostendruck aber drückt auf die Qualität.
Wer hat den ausgeübt?
Der Bund. Mit den Hartz-Gesetzen wurde für einen Teil der Maßnahmen die Ausschreibungs-Praxis eingeführt. Es wurden von der Bundesarbeitsagentur die Regionalen Einkaufszentren, kurz REZ, etabliert, die für die Jobcenter vor Ort vom Bleistift bis zur Bildungsmaßnahmen alles einkaufen. Darüber wird ein massiver Kostendruck ausgeübt, der direkt über niedrige Löhne und Honorare an die Beschäftigten weitergegeben wurde. Ein Beispiel: In Hamburg gab es eine Maßnahme, Deutsch als Fremdsprache, mit 1,49 Euro pro Teilnehmerstunde refinanziert und maximal 25 Teilnehmern. Damit lässt sich weder ein akzeptables Gehalt oder auch nur Honorar bezahlen. Das kann nichts Vernünftiges sein.
Wer kann denn so billig sein?
Träger, die in den Markt hinein wollen, mit Mischkalkulationen und nicht vertragsgetreuer Maßnahmedurchführung.
Ein Kampfpreis?
Ja. Dumpingpreise. Mittlerweile gibt erste Signale aus der Politik, dass mancher ahnt, was angerichtet wurde. Aber passiert ist noch nichts.
Gibt es eine Abwärtsspirale: Preisdruck mindert erst die Qualität und dann die Erfolge?
Zwar nicht unmittelbar, in der Tendenz aber schon. Viele Bildungsträger sind nicht so sonderlich gut verfasst, aber es gibt ein hohes Engagement der Beschäftigten. Die versuchen trotz schlechter Bezahlung gut zu arbeiten. Aber teilweise sind die Maßnahmen von der vorgegebenen Konzeption so unsinnig, dass man nur begrenzt Erfolge erzielen kann.
Es soll auch in Hamburg wieder mehr Trainingsmaßnahmen geben. Die Rede ist von 5.000 Teilnehmern. Ist das sinnvoll?
Das hängt von Konzeption und der Auswahl der Teilnehmer ab. Ob diese hohe Zahl gut ist, da bin ich sehr skeptisch. Wir hatten in guten Zeiten circa 4.000 Umschulungen im Jahr. Diese sind drastisch zurückgefahren worden auf deutlich unter 1.000. Dabei waren diese langfristig durchaus erfolgreich.
Trotz Kürzungen gibt es Geld für Langzeitarbeitslose. In Hamburg 110 Millionen Euro. Wie sollte man die verwenden?
Ein Schwerpunkt in Bildung macht auf jeden Fall Sinn. Wir brauchen aber auch einen sozialen Arbeitsmarkt. Es gibt Arbeitslose, die wird man so schnell nicht in den Arbeitsmarkt integrieren können. Zwar halte ich 1-Euro-Jobs für das falsche Instrument, aber ohne Perspektive werden diese Menschen im Grunde einfach abgeschrieben. Um es auf die politische Ebene zu setzen: Es gibt den Ansatz der „Passiv-Aktiv-Finanzierung“. Hier würden die Lebenshaltungskosten der Hartz-IV-Empfänger mit den aktiven Arbeitsmarktmitteln zu einem sozialversicherungspflichtigem Einkommen kombiniert, eine Initiative von NRW, Berlin und Bremen. Hamburg hat sich daran nicht beteiligt. Sozialsenator Scheele ist strikt dagegen. Das ist richtig ärgerlich.