piwik no script img

Archiv-Artikel

„Es geht darum, in Würde zu altern“

ADIÓS Trinker, Spieler, Chauvinist: Charlie Sheen prägte als Charlie Harper die erfolgreiche US-Sitcom „Two and a Half Men“. Bevor seine Ablösung kommt – eine Psychoanalyse zum Abschied

Judith Lebiger-Vogel

■ forscht am Sigmund-Freud-Institut (SFI) unter anderem zum Schwerpunkt Psychoanalyse und Gesellschaft. Das SFI ist ein 1959 gegründetes Forschungsinstitut für Psychoanalyse und ihre Anwendungen.

INTERVIEW TORSTEN LANDSBERG

Seit Charlie Sheen nach einem Streit mit dem Produzenten Chuck Lorre aus der US-Sitcom „Two and a Half Men“ geworfen wurde, streiten sich die Fans in den Internetforen: Macht die Fortsetzung ohne den Lebemann Charlie Harper Sinn? Ob Sheens Nachfolger Ashton Kutcher ein adäquater Ersatz ist, können deutsche Fans ab Dienstag (ProSieben, 21.15 Uhr) entscheiden. Vorher lässt die taz zum Abschied von Charlie Harper dessen Verhalten psychologisch analysieren

taz: Frau Lebiger-Vogel, Charlie Harper ist charmant, chauvinistisch, etwas oberflächlich, dabei nicht böswillig, sondern liebenswürdig. Reicht das für eine Einordnung in eine psychoanalytische Kategorie?

Judith Lebiger-Vogel: Es handelt sich wohl eher um einen spezifischen Charakter. So wie er angelegt ist, fällt es ihm wohl eher schwer, erwachsen zu werden im Sinne von Verantwortungsübernahme für die Gesellschaft oder auch für nachfolgende Generationen. Das sind aber persönliche Eigenschaften der Serienfigur, ich würde da keinen Sozialcharakter draus machen.

Werfen wir einen Blick auf exemplarische Szenen.

Charlie Harper ist stark erkältet, sein Bruder Alan rät ihm kürzerzutreten, weil das Alter nicht spurlos an ihm vorbeigehe. Charlie entgegnet: „Du bist nur so alt wie die Frauen, die du fühlst. Und neuerdings fühle ich mich wie 24.“

Gibt es typische Charakterzüge eines Mannes mit ständig wechselnden, meist deutlich jüngeren Sexualpartnerinnen?

Das ist etwas, das man kontextualisieren muss. Da könnte man etwa spekulieren, wie das Verhältnis zu den Eltern ist, das wäre eine klassisch psychoanalytische Sichtweise: Was für Auswirkungen hat das darauf, wie dieser Mensch seine eigenen Beziehungen gestaltet?

Die Frauen, mit denen Charlie Harper bedeutungslose sexuelle Abenteuer eingeht, sind jung, hübsch, oft Callgirls. Welche Rolle spielt dabei der Moment der Macht?

Mein Eindruck ist eher, dass der Charakter überfordert ist, sich auf eine Beziehung einzulassen. Es gibt da durchaus ein reziprokes Verhältnis, viele seiner Frauen sind auch oft nicht an längeren Beziehungen interessiert.

Nach einem Streit mit seiner Haushälterin Berta muss Charlie die Wäsche seiner Freundin selbst waschen – zum ersten Mal. Er bittet seinen Bruder Alan um Hilfe: „Woher wissen wir, wann sie fertig ist?“ – „Keine Sorge, die Waschmaschine ruft dich auf deinem Handy an.“ – „Echt?“

Harper ist ein Mann um die 40, der im Alltag oft eine kindliche Naivität offenbart. Konsequenzen seines Handelns sind ihm fremd. Sind das typische Verhaltensmuster für einen Menschen, der sich das Altern nicht eingestehen will?

Es gibt den Begriff der verlängerten Adoleszenz. Das ist kennzeichnend für Menschen, die nicht vollständig ins Erwachsenenleben eintreten, weil sie einen bestimmten Entwicklungsschritt nicht vollziehen können. Man kann bei ihm spekulieren, dass er nie gelernt hat, eine bestimmte Art von Verantwortung für sich zu übernehmen. Der Punkt des Nichtalternwollens hat wohl auch eine gesellschaftliche Komponente: Es geht darum, wie man heutzutage in Würde altern kann.

Und die individuelle Komponente?

Die Hamburger Soziologin Vera King hat ein Konzept geprägt, das auf Erik Erikson zurückgeht, das Konzept der Generativität: Nach gelungener Adoleszenzentwicklung, in der sich die Adoleszenten im psychosozialen Moratorium ausprobieren können, durchaus unter sogenannter fürsorgebereiter Begleitung der Elterngeneration, übernehmen sie Verantwortung. Man könnte sagen, dass das weitgehend fehlt bei der Figur Charlie Harper. Der lebt vor sich hin und hat seine Affären. Da wird er kontrastiert zu seinem Bruder Alan, der versucht, sich verantwortungsvoll seinem Sohn gegenüber zu verhalten. Der verzichtet auf eine bestimmte Leichtigkeit, wirkt aber auch weniger orientierungslos als Charlie. Werte verfolgen, sich für etwas einsetzen, Verantwortung übernehmen, das kann auch etwas sein, woraus man Selbstwert bezieht. Dieser Komponente beraubt sich Charlie ein Stück weit.

Charlie versteht sich sehr gut mit einem schwulen Freund seines Bruders Alan. Er sucht seine Psychologin Dr. Freeman auf: „Glauben Sie, dass ich vielleicht schwul bin, ohne es zu wissen? Ich meine, ich achte nun mal wirklich auf mein Äußeres, ich hab Mutterprobleme und ein Faible für Innenarchitektur. (…) Aber wenn es um Penisse geht, will ich nicht, dass mir von einem anderen zugeblinzelt wird als von meinem eigenen.“ – „Wen wollen Sie hier überzeugen, mich oder sich selbst?“ – „Sie. Und dann sollen Sie mich überzeugen.“

Die Sorge, mithilfe sexueller Abenteuer mit Frauen eine latente Homosexualität zu verdrängen, wie nah ist das an der Realität?

Nach dem klassischen Phasenmodell der psychosexuellen Entwicklung kann man sagen, dass jeder Mensch auch homosexuelle Anteile hat. Als wichtig wird meist angesehen, sich schließlich für ein Geschlecht als Liebesobjekt zu entscheiden. Homosexuelle Anteile sind gesellschaftlich tabuisiert, gerade bei dem Männerbild, das in dieser Serie vertreten wird. Die Serienmacher nutzen das, denn Homophobie ist nach wie vor verbreitet, und es kommt gut an, wenn damit Witze gemacht werden.

Charlie zu seiner Mutter Evelyn: „Ich hab mir alles über Beziehungen von dir abgeguckt. Ich hab gelernt, dass Männer, die sich auf Gefühle einlassen, niedergemacht werden. Ich hab gelernt, dass Männer entmannt werden, wenn sie heiraten, und dass man sich nur davor schützen kann, sein Herz gebrochen zu kriegen, indem man so tut, als hätte man keins.“ – „Das hast du alles von mir?“ – „Ja!“ – „Schatz, ich war noch nie so stolz auf mich wie in diesem Moment.“

Charlies Mutter hatte zahlreiche Ehemänner und Affären, ihre Söhne mussten öfter hinter ihren eigenen Bedürfnissen zurückstehen. Wie wirkt sich ein solches Verhalten auf Kinder aus?

„Homophobie ist weit verbreitet, und Witze damit zu machen kommt gut an“

Man kann spekulieren, dass der Seriencharakter der Mutter die für die Entwicklung von Jugendlichen wichtige fürsorgebereite Begleitung nicht zur Verfügung gestellt hat, da sie sich selber jugendlich benommen hat. Das ist etwas, das Jugendliche häufig tatsächlich in Schwierigkeiten bringt: In der Pubertät kommt es zu großen Umwälzungen auf der körperlichen, aber eben auch auf der seelischen Ebene. Der sich entwickelnde Körper und eine andere Art von Sexualität müssen integriert werden, und es geht ganz stark um Identitätsfindung. Wenn die Eltern nun zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind und sich jugendlich verhalten, etwa Beziehungen in die Krise geraten, wenn Kinder eigentlich Unterstützung in ihrem eigenen adoleszenten Experimentieren brauchen, wird es schwierig. Wenn Eltern das Feld des Experimentierens – Wer bin ich, wer will ich sein? – zu sehr besetzen, ist es für die Kinder schwer, sich selber auszuprobieren. Die Mutter benimmt sich selbst eher adoleszent, daher hat Charlie nicht die Stabilität einer fürsorgebereiten Begleitung.

Charlie will seine Freundin Mia heiraten. Vor der Trauung eröffnet sie ihm, dass sein Bruder Alan und dessen Sohn Jake ausziehen müssen. Charlie lässt die Hochzeit daraufhin platzen.

Trotz seiner Bindungsängste übernimmt Charlie Harper – widerstrebend – aber langfristig – Verantwortung für seinen Bruder und dessen Sohn.

Der Charakter ist in dieser Hinsicht widersprüchlich angelegt. Er scheint auch zu seinem Neffen eine Beziehung aufgebaut zu haben. Es ist ihm nicht egal, wie es dem geht. Vielleicht identifiziert er sich auch mit dem Jungen. Die Serie ist darauf angelegt, dass Männer unter sich sind und ihr Leben weitgehend versuchen, ohne Frauen zu gestalten.

Was macht den großen Erfolg der Serie aus? Beneiden Männer Charlie Harper um sein sorgloses Leben?

Ich weiß nicht, ob es an Charlie Harper liegt und nicht eher an der Konstellation, dass es ein Männerhaushalt ist. Damit wird ja gespielt: Wie kommen Männer klar, ohne dass da eine Frau mit das häusliche Leben gestaltet? Zum einen ist er eine wichtige Figur, aber sein Bruder ist ja genauso wichtig und zentral, gerade in der Kontrastierung: der eine, der immer nur Spaß will und dazu neigt, keine Verantwortung zu übernehmen, und der andere, der nicht das machomäßige Männerbild vertritt, aber ein ganz verantwortungsvoller Vater ist. Und der Junge, der mit den beiden Männern aufwächst.

Also kein „So will ich auch sein“ beim Zuschauer?

Es gibt unter den Stichwörtern Pluralisierung, Flexibilisierung und Ökonomisierung Überlegungen verschiedener Autoren, inwiefern das Leben überfordern kann. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch eine gesellschaftliche Orientierungslosigkeit. Da könnte es schon zu Fluchtfantasien in eine Welt kommen, in der man keine Verantwortung übernehmen muss. Das könnte man aber auf die mediale Welt insgesamt ausdehnen.