: Hände weg vom Fahrrad!
An viele Stellen des modernen Bikes darf man nicht mehr ran. Würde auch gar nicht gehen: Immer mehr Technik ist verkapselt, für Laienfinger unerreichbar und vor allem unreparierbar. Da bleibt nur noch der Hilferuf: „Dienstleister, übernehmen Sie!“
VON ACHIM BELLGART
Was hat die zeitgenössische Fahrradentwicklung nicht alles hervorgebracht: bequeme Schaltungen, die das Bergfahren auch für Unsportliche zur reinen Freude machen, sichere Bremsen, die auch Regenwetter nicht verunsichert, zuverlässige Dynamos, die auch bei Schneefall nicht aufgeben. Dass dieser Trend längst nicht mehr für Technikfans reserviert ist, zeigt zum Beispiel die „VSF..all ride“-Serie des Verbunds selbst verwalteter Fahrradbetriebe: Räder mit hochwertigen, oft verkapselten Komponenten für den sorgenfreien Alltagsbetrieb des breiten Publikums. Doch das ist nicht immer zufrieden, meckert vor allem über die oft hohen Preise der Hightech-Komponenten. Aber dafür habe man ja auch was fürs Leben, antworten dann gern die Hersteller. Hightech forever?
„Ansonsten hält die Nabe durchaus, was die Werbung verspricht, und ist für mich immer noch erste Wahl im 50-Kilometer-Umkreis um meinen Mechaniker“, vermeldet ein Beppo auf der einschlägigen Userseite fo rum.bikefreaks.de. Die Nabe ist die 14-gängige Nabenschaltung von Rohloff, der Anlass seiner drastischen Radiusbeschränkung der Abbruch eines Radurlaubs in den Tiroler Bergen. Den erzwang ein Ausfall der Schaltung, der sehr selten, aber nicht ausgeschlossen ist. Doch in so einem Fall heißt es: Finger weg, Selbsthilfe gibt’s nicht. An der Nabe darf keinesfalls rumgedengelt werden – bei Strafe des Garantieverlusts. „Bei weiterem Zerlegen des Getriebeblocks erlischt die Garantie“, droht die „Benutzerinformation“ von Rohloff. Die Nabe bleibt zu, die Box bleibt black. Solche Schaltungen müssen an ihren Geburtsort zurückgeschickt werden, wo sie in der Regel ziemlich fix heile gemacht oder ersetzt werden. Trost: Das wird fast nie nötig, weil sie außerordentlich zuverlässig und – mal abgesehen vom jährlichen Getriebeölwechsel – quasi wartungsfrei sind.
Etwas glimpflicher mag der Ausfall eines Nabendynamos ausgehen. Das lässt sich vielleicht sogar ignorieren, wenn man gerade im Land der Mitternachtssonne unterwegs ist oder in einer Gegend, in deren Sprache es keine Übersetzung für „Fahrradbeleuchtung“ gibt. Ist das nicht der Fall, erlebt man, dass selbst ausgefuchste Zweiradmechanikermeister wie Henning Oeljen vom „Radschlag“ in Bremen vor der Verkapselung der Technik kapitulieren: „Die müssen wir wohl nach Tübingen schicken.“ Dahin, wo die „SON“-Dynamos von Schmidt herkommen. Kein Problem ist für ihn der Einbau: Die erforderliche Speichenlänge hat er nach einer mathematischen Formel des Herstellers fix herausgefunden. Der Laie dürfte dafür ein bisschen länger brauchen.
Am ehesten lässt sich noch in das Innenleben einer Hydraulikbremse eingreifen. Sofern man zufällig das Spezialwerkzeug und das nötige Know-how parat hat. Als Drittes bedarf es gesteigerten Mutes. Zweimal taucht in der Gebrauchsanleitung der Magura-Bremse das verkehrsschildartige „Achtung!“-Logo auf, das bei der Beschreibung von Montage- oder Wartungsarbeiten vor dem Risiko von Sach- und Umweltschäden warnt. Und gleich zwanzigmal droht das Zeichen mit dem Blitz: Bei diesen Arbeiten bestehe „eine mögliche Gefahr für Ihr Leben und Ihre Gesundheit“. Logische Konsequenz: „Überlassen Sie diese Arbeiten im Zweifelsfall lieber einem Fachbetrieb.“
„Und was ist mit der schönen alten Devise ‚Selbst ist die Frau oder auch der Mann‘?“, mag jetzt der ein oder andere interessierte Laie rufen, der sich daran erinnert, dass die Einstellung seiner Cantilever-Bremse meistens fummelig und manchmal nervig war, aber letztlich doch klappte. Notfalls mit fachkundiger Hilfe aus WG oder Nachbarschaft. Und jetzt? Den Torx-T25-Schlüssel in der einen Hand, die Reparaturanleitung in der anderen, kann sich der Normalradler noch nicht mal ratlos am Kopf kratzen. Und er merkt, dass er ein weiteres Mal die Beherrschung der Dinge gegen die Beherrschung durch die Dinge eingetauscht hat. Aber er ist ja nicht allein: Auch die meisten Auto- oder Computerbenutzer sind in Sachen Technik längst entmündigt, wissen nicht, wie ihre Geräte funktionieren, wie es im Innern einer Black Box eigentlich so aussieht. Das macht auch nichts, jedenfalls nicht, solange kein einziges Hightech-Teil auf die Idee kommt, zu streiken. Doch da so etwas nicht auszuschließen ist, bedeutet Hightech immer auch High Risk. Heißt fürs Fahrrad? Im Fall der Fälle wird abgestiegen, eine kompetente Werkstatt gesucht und möglicherweise auch gefunden: „Dienstleister, übernehmen Sie!“