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Archiv-Artikel

Grüne wollen doch nicht wie Köhler sein

Alles ist angenehmer als Visa: Zunächst haben die Grünen den Ball des Bundespräsidenten aufgenommen. „Vorfahrt für mehr Arbeit“ sei schon recht. Bei ihrem kleinen Parteitag auf Schalke heute erinnern sie sich an Ökologie und Menschenrechte

VON LUKAS WALLRAFF

Die Grünen haben eine Weile gebraucht, um eine eigene Antwort auf Horst Köhler zu formulieren. Als der Bundespräsident vor drei Wochen seine „Vorfahrtsregel für Arbeit“ postulierte, wussten die Regierungsökos zunächst nicht recht, wie sie reagieren sollten.

Einerseits wollten sie auf keinen Fall mit den Gewerkschaftern, die Köhler einen „Arbeitgeberpräsidenten“ schimpften, in der Nörglerecke stehen. Also saß die grüne Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke brav klatschend in der ersten Reihe, während Köhler mehr Reformen, weniger Steuern und niedrigere Löhne vorschlug. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sprach von einer „interessanten“, Parteichef Reinhard Bütikofer gar von einer „außerordentlich bemerkenswerten“ Rede. Beide zeigten sich erfreut über das Lob des Präsidenten für die Agenda 2010 – und gingen, wie Union und SPD, sogleich daran, als erste Maßnahme nach der Rede Köhlers, ganz in dessen Sinne die Unternehmenssteuern abzusenken.

Andererseits hatten die Grünen durchaus ein Problem mit Köhler. Gerade ihnen konnte es nicht gefallen, dass er verlangte, die Politik müsse künftig alles der Schaffung von Arbeitsplätzen unterordnen. „Was anderen Zielen dient, und seien sie noch so wünschenswert, ist nachrangig“, dekretierte Köhler. Naiv, wer da nicht auch an urgrüne Themen wie Umweltschutz und Menschenrechte dachte.

Was Köhler sagte, kann man in dieser Radikalität nun doch nicht stehen lassen, dachten sich die Grünen und befanden, ihr heutiger kleiner Parteitag in der Schalker Fußball-Arena sei der ideale Zeitpunkt für einen ausgefeilten Konter. Rhetorisch nehmen sie nun den Köhler-Ball auf. „Vorfahrt für Arbeit mit Zukunft“ heißt der Leitantrag, über den die Delegierten ausgiebig diskutieren sollen, was allemal angenehmer ist, als die aktuelle Hauptsorge der Partei (Joschka Fischers Visa-Krise) öffentlich zu erörtern. Auch die Parteilinken haben signalisiert, „nichts Kontroverses“ anzusprechen, „so kurz vor der Wahl“ in NRW. Und alle, die hinter Fischer mit den Füßen scharren, halten sich mindestens bis zu seinem Auftritt im Untersuchungsausschuss am 25. April zurück. Wenn alles klappt, soll heute eine frohe Botschaft rüberkommen, die wärmer klingt als Köhlers „Bild einer Gesellschaft der sozialen Kälte“ (Verbraucherministerin Renate Künast). Diese Botschaft lautet, dass die Grünen „unser Land gerecht erneuern“. Anders als der Präsident wollen sie der Politik „eine humane, eine ökologische und soziale Richtung geben“.

Nun ja. Die soziale Richtung bleibt mit „gegebenenfalls geeigneten Korrekturen“ der Hartz-IV-Gesetze vage. Das Humane wird sich in einem erneuten Appell ausdrücken, das Waffenembargo gegen China beizubehalten, dessen Aufhebung aber ohnehin nicht wirklich ansteht. Am ausführlichsten widmet sich der grüne Antrag dem Nachweis, dass „ökologische Modernisierung“ Arbeit schaffe. Vom 1-Liter-Auto über Rußfilter bis zur Windkraft: „Viele Unternehmen haben längst erkannt, dass man mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben kann.“