Gesinnung-TÜV für Misfits

Habe ich noch eine Zukunft in dieser Gesellschaft? Oder fehlt es mir an Flexibilität? Eine interaktive Kunstaktion von Peter Kees gibt in der DNA-Galerie Antworten auf die drängenden Fragen des neoliberalen Arbeitsalltags

Peter Kees kommt vom Theater und hatte vor mehreren Jahren für geraume Zeit die Intendanz des Theaters in Reutlingen inne, bis seine Experimente dort zu gewagt wurden für die württembergische Kleinstadt. Seitdem nutzt er den Mut zum Experiment und seine Neugier auf die Reaktion von Menschen für interaktive Arbeiten nicht nur im Kunstraum. Als die Bayreuth-Festspiele letztes Jahr wieder einmal in der Krise waren, bot er sich kurzerhand medienwirksam als Retter an, ohne freilich einen Ruf zu erhalten. Die Selbstinszenierung und das erfolgreiche Spiel mit den Medien war Sinn und Zweck der Aktion.

Nahezu jeden Dienstag veranstaltet er sein bekanntes Talkformat TV REAL in der DNA-Galerie. Dort interviewt er Menschen aus allen nur denkbaren Berufen und Schichten, gut beobachtet vom Publikum aus der Kellerbar der DNA. Ein VIP-Status, den die meisten TV-Talkformate voraussetzen, ist hier nicht erforderlich. Im Gegenteil, er konterkariert das Medium, indem er es in einen fast intimen Raum einer begrenzten Öffentlichkeit zurückübersetzt und sich zirka eine Stunde intensiv einer Person widmet.

Nun hat Peter Kees in der selben Galerie DNA seinen PSÜV (Psychisch-Sozialer-Überwachungs-Verein) installiert und gibt den Besuchern die Möglichkeit, sich auf ihre Gesellschaftsfähigkeit prüfen zu lassen. PSÜV entspricht einem TÜV für den Menschen. Schluss mit der Kunst als Genuss und geistiger Erbauung. In harten Zeiten muss auch die Kunst sich in den Dienst des Standorts Deutschland stellen.

Früher fragte die umsatzorientierte Verkäuferin hinter der Wursttheke: „Darf's ein bisschen mehr sein?“ Zu dieser Frage ist das sowieso schon in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungene Personal heute gegenüber dem Auftraggeber – von Arbeitgeber kann man ja gar nicht mehr reden – gezwungen: „Darf's ein bisschen mehr Arbeit für noch weniger Geld sein?“ Auch wenn diese Frage nicht ausgesprochen wird, sie steht im neoliberalen Raum. Das perfekte System des sich von sozialen Hemmnissen immer stärker befreienden Kapitalismus greift die menschliche Arbeit mit dem Trick des Praktikantenstatus sogar kostenlos ab. Sollte eine Bezahlung unumgänglich sein, kann die Höhe dank Angebot und Nachfrage auf niedrigstes Niveau gedrückt werden. Die als Unternehmer in eigener Sache gegen eine unüberschaubare Zahl von Konkurrenten antretenden Menschen müssen – um überhaupt noch Arbeit zu bekommen – mit Almosen zufrieden sein. Zukunftsmusik?

Nein, in Teilen der Gesellschaft sind diese Mechanismen längst wirksam – zum Beispiel im Kulturbereich. Da liegt es auf der Hand, dass sich Künstler dieser Problematik annehmen. Peter Kees macht die Beobachtung, dass die Ökonomie das Primat in der gesellschaftlichen Ordnung ist und den Menschen ihr gesamtes Leben diktiert. In seiner temporären Versuchsanordnung treibt er das Spiel mit dem Zwang zu Kompatibilität, Flexibilität und Mobilität in durchaus bewusstem Sarkasmus auf die Spitze. In der interaktiven Installation, deren ästhetischer Charme verdammt an Arbeitsagentur erinnert und vielleicht eines Tages dort zu finden sein wird, bietet er mit einem Computerterminal die Möglichkeit zu Selbsttest und -befragung: Wie gesellschaftsfähig sind wir?

Gesellschaftsfähigkeit ist hier gleichbedeutend mit Marktgängigkeit. Wer etwa in marxistischer Manier das System den Erfordernissen des Menschen anpassen will statt umgekehrt, wird gleich outgesourct. Denn damit erweist sich der Proband als rückwärts gewandt und unfähig, sich den Erfordernissen des Markts zu stellen. In einem Fragenkatalog, angelehnt an den der Schufa zur Ermittlung der Kreditwürdigkeit, wird nach Außen- und Innenleben, sozialer Praxis, Bildung, Servilität und Dienstbarkeit, Sexualpraktiken, Konsumverhalten gefragt. Am Ende erhalten die Kandidaten ein Prüfsiegel gut sichtbar in Form eines Stempels aufgedrückt.

Dann spätestens ist das zukünftige Schicksal besiegelt. Entweder man ist „gesellschaftsfähig“ und wird weiterhin eine Verwendung auf dem Markt finden oder „nicht gesellschaftsfähig“ und unbrauchbar. Das bleibt dann nicht nur bei dem Gefühl der Nichtzugehörigkeit wie in Arthur Millers Drehbuch für „Misfits“. Peter Kees stigmatisiert die ausgesonderten Probanden mit einem Stempel. Sein böses Spiel imaginiert ein Schicksal, das weit über das der Akteure in Houstons Film hinausgeht.

MATTHIAS REICHELT

Heute und morgen, 14–19 Uhr, DNA, Auguststr. 20