: Begegnung mit Geistern
NEUE MALKUNST Armin Boehm schichtet nicht nur Farbe, sondern setzt Tradition und Fortschritt, Wissenschaft und Glauben in seinen Bildern ins Verhältnis. Erste Einzelausstellung im Kunstverein Braunschweig
VON MAIK SCHLÜTER
„Der Böse Blick“ nennt Armin Boehm (*1972) seine aktuelle Ausstellung im Kunstverein Braunschweig. Boehm analysiert in seinen Arbeiten die Bedeutung von kollektiven Bildern und lotet die formalen Möglichkeiten der Malerei aus. Dies tut er ohne den antiquierten Gestus des Maler-Macho-Genius und ohne leere Formalismen, die häufig unter dem Motto „Probleme der Malerei“ präsentiert werden. Seine Bilder sind reflektiert, komplex und engagiert. Gesellschaftliche Bezüge ersetzen subjektive Mythen. Er steht damit der argumentativen Präzision eines Daniel Richter näher als den vernebelten Aussagen eines Neo Rauch.
In seiner ersten großen Einzelausstellung zeigt er eindrucksvoll, wie handwerkliche Raffinesse und konzeptuelle Logik zu verbinden sind. Und passt damit hervorragend in das von der Direktorin Hilke Wagner kuratierte Programm. In Braunschweig konnte man in den letzten anderthalb Jahren sehen, wie der Spagat zwischen konzeptuell-theoretischen Ansätzen der Kunst und einer formal-ästhetischen Erfahrung für die Besucher intelligent und anschaulich gemeistert werden kann.
Armin Boehm verwendet häufig Vorlagen, die er in Archiven, Büchern oder Zeitungen findet. Er zeigt in seinen Bildern ganz unterschiedliche Sujets wie soziale Unruhen, historische Porträts, Naturdarstellungen oder spiritistische Sitzungen. Auf dem kleinformatigen Bild „Se Taire“ (2008) porträtiert er eine Hellseherin und verdeutlicht deren seherische Gabe durch zwei Linien, die von ihren Augen aus in die nicht sichtbare Zukunft strahlen.
Zwei Aspekte dieser Vorstellung sind im Werk von Boehm durchgängig zu finden: die Analyse von bildnerischen Aussagemöglichkeiten und die Grenzen der visuellen Wahrnehmung. Denn Abbild, Realität und Mythos ergeben bei ihm eine Dreieckskonstellation, die offen ist für Spekulationen über Bildinhalte und immer wieder auf unsichtbare Abgründe verweist.
Leere und Dunkelheit
Boehm schichtet die Farben in unterschiedlichen Arbeitsprozessen aufeinander und integriert neben Ölfarben auch Industrielacke, Papiercollagen, Teerreste oder Metallverbindungen. Auf dem großformatigen Bild „Untitled (Riot)“ 2008 ist eine Vorstadtarchitektur zu sehen. Vereinzelt leuchten Fenster oder Straßenlaternen, ansonsten ragen die Wohnblöcke aus der Dunkelheit hervor und evozieren eine latente Bedrohung. Durch das dominierende Schwarz schimmern die Farben und entwickeln bei längerer Betrachtung einen faszinierenden Sog. Das Bild ist vielschichtig im wahrsten Sinne des Wortes und zeigt exemplarisch, wie Boehm die Wirklichkeit und die Malerei begreift: Als Verdichtung und Überlagerung von unterschiedlichen Energien und Argumenten, die zwangsläufig Konflikte auslösen und keine klaren Antworten auf komplexe Fragen bereithalten. Auf dem Bild zeigt er keine Menschen. Nur Leere und Dunkelheit, Raum und Architektur.
Indem er durch Materialbearbeitung die unterschwellige Bedrohung formal umsetzt, entwickelt das Bild eine stille Explosivität. Die Schichtungen sind auch ein Sinnbild dafür, dass Gesellschaft und Individuum, Tradition und Fortschritt in einem spannungsvollen und widersprüchlichen Verhältnis zueinander stehen. Boehm geht es um den Kontrast zwischen zivilisatorischem Bemühen und dumpfer Triebhaftigkeit, zwischen exakter Wissenschaft und okkultem Glauben.
Auf neueren Arbeiten zeigt er Séancen. Menschen sitzen in einen Raum und schaffen es die Geister der Toten sichtbar werden zu lassen. Vorlagen zu diesen Bildern sind historische „Geisterfotografien“, die das Ergebnis eines naiven Umgangs mit der Fotografie Ende des 19. Jahrhunderts waren. Der damalige industrielle und wissenschaftliche Wandel und die damit verbundenen Irritationen und Ängste finden in diesen Bildern einen konkreten Ausdruck. Denn Technik und Wissenschaft boten plötzlich ein ganz neues Weltverständnis, der Wunsch nach okkulten oder religiösen Inhalten blieb aber bestehen. Diese instinktiven Reste, die auf dem Weg in die Moderne im Bewusstsein zurückblieben, interessieren den Künstler.
Die Angst des Betrachters
In der Bildserie „Phosphorum I–III“ 2008 sehen wir leere Räume, deren grauen Wände, kaltes Licht und karge Böden an Folterkeller oder KZs denken lassen. Das Grauen solcher Orte ist in unserem kollektiven Gedächtnis gespeichert. Die Projektion entlarvt sich erst dann, wenn klar wird, dass die gemalten Orte einfach nur Küchen sind, die durch Boehms Ästhetik ihr vermeintliches Grauen entfalten.
Die Angst und die Gewalt kommen offensichtlich aus uns selbst und sind nicht im Bild versteckt. Was wir sehen, sehen wir mit den eigenen Augen und den Augen der Gesellschaft. Wie bei der Hellseherin, die ihren Blick in die Zukunft richten will, aber am Ende doch nur ihr eigenes Inneres schauen kann. Boehm interpretiert diese Blicke und Bilder genau. Der böse Blick ist kulturelle und individuelle Projektion. Ein Blick in die Abgründe der Gesellschaft.
■ Armin Boehm, „Der Böse Blick“, Kunstverein Braunschweig, bis 30. August