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Archiv-Artikel

Das Primat der Außenpolitik

Joschka Fischer im Dienst (1): Der Außenminister hat politisch weniger Akzente gesetzt, als er wollte und als es möglich gewesen wäre. Verantwortlich dafür ist er nicht allein

… oder der Migrationspolitik seines Hauses gemessen. Sondern an seiner Außenpolitik seit 1998

Man kann auch Bücher anzeigen, die gerade nicht erscheinen. Auf das beim Verlag Kiepenheuer & Witsch als „das politische Buch des Jahres“ angekündigte Werk Die Rückkehr der Geschichte. Die USA, Europa und die Welt nach dem 11. September“ wird man noch warten müssen, nicht nur, weil sein Autor Joschka Fischer derzeit anderweitig beschäftigt ist. Die Doppelaffäre unter den Namen „Visa“ und „Nachrufe“ ist ernst und belegt eine nie da gewesene Illoyalität im Auswärtigen Amt. Aber Verdienste oder Scheitern Fischers werden bitte nicht an der Aufarbeitung der jüngeren Diplomatiegeschichte oder der Migrationspolitik seines Hauses gemessen, sondern an der Bilanz der deutschen Außenpolitik seit 1998.

Fischer steht, was die drei Eckpfeiler der Nachkriegspolitik – Westbindung, postnationale Europaorientierung und Sonderverhältnis zu Israel – angeht, von Beginn an für Kontinuität. Zugleich vollzog er eine scharfe Wende, was humanitäre Militärinterventionen betrifft. Kaum im Amt, hat Rot-Grün die bundesdeutsche Selbstverpflichtung „Auschwitz“ rekodiert: Waren die NS-Verbrechen bis dahin (nicht nur für die Grünen) eine absolute Schranke für Bundeswehreinsätze, machte Fischer daraus, sogar ohne UN-Mandat, eine akute Verpflichtung bis in den Hindukusch hinein, womit eine bestimmte Geschichtspolitik an ihr Ende gekommen war, die stets vor dem „Risiko Deutschland“ warnte (so der Titel des letzten außenpolitischen Grundsatzwerks aus dem Jahr 1994). Die famose „Kultur der Zurückhaltung“, bis 1998 Axiom deutscher Außenpolitik, beendeten Schröder und Fischer auch im Blick auf den angestrebten ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.

Grund für diese Kursänderungen waren tiefe Zäsuren, die das deutsche Außenverhältnis ohne eigenes Zutun veränderten: der Fall der Mauer und der September 2001. Das Ende des sowjetischen Imperiums (und damit der deutschen Frage) veränderte die Koordinaten radikal, darunter das Verhältnis zur einstigen Schutzmacht USA, deren „Krieg gegen den Terror“ das transatlantische Verhältnis auf eine schwere Probe gestellt und wohl nachhaltig zerrüttet hat. Außenpolitische Routiniers und „Realisten“ kritisieren die rot-grüne Bundesregierung für das Abrücken von Washington, bei dem Schröder stets burschikoser agierte als Fischer. Dieser hat den Anspruch, das vereinte Deutschland könne als globale Mittelmacht und europäische Vormacht „auf Augenhöhe“ mit den USA verkehren, nie so deutlich ausgesprochen wie der Kanzler, und bei Fischer behielt das deutsch-israelische Verhältnis seine historische Dimension.

Fischer, deutscher Vertreter im Verfassungskonvent und einmal schon auf dem Sprung in europäische Spitzenpositionen, behandelt auch die EU sensibler. Das Verhältnis von Koch und Kellner ist auf diesem Gebiet ebenso klar: Konnte man bei Schröder anfangs den Eindruck haben, er agiere mit Vorliebe als Exportkanzler auf Auftragsreise und betreibe vornehmlich Außenwirtschaftspolitik, haben ihm die miese Standortentwicklung, die innenpolitische Stagnation und der Verlust des SPD-Vorsitzes das „Primat der Außenpolitik“ schmecken lassen, ganz in der Tradition des Verhältnisses von Adenauer, Brandt und Kohl zu ihren jeweiligen Ressortchefs. Europa ist Chefsache, auch die „Achse“ Paris–Moskau–China hat er zu verantworten. Zuletzt mit dem Ansinnen, das Waffenembargo gegen China aufzuheben, mit dem er den Vizekanzler und seine Partei zusätzlich in die Bredouille brachte.

Fischers bescheidene Bilanz kommt also erstens wesentlich dadurch zustande, dass er solches Vabanquespiel nicht verhindern konnte: nicht die gezielte Entfremdung von den USA, nicht das der erweiterten EU unangemessene deutsch-französische Kondominium und auch nicht die peinliche Männerfreundschaft mit dem neosowjetischen Putin. Und Europa ist weder als Sicherheitsgemeinschaft noch als politische Union wirklich weitergekommen, mit England und Polen pflegen wir kaum mehr als ein Arbeitsverhältnis. Deutsche Außenpolitik ist in vieler Hinsicht riskanter geworden. Risiken muss man auch eingehen, und gerade Schröder lässt den Willen erkennen, die von den Konservativen lange beklagte „Machtvergessenheit“, die angeblich aus der Fixierung auf die NS-Vergangenheit herrührt, zu beenden und Deutschland als „Zentralmacht Europas“ (Hans-Peter Schwarz) aufzubauen. Schröder tut, was Kohl sich nicht traute. Der Erfolg dieser Operation ist zweifelhaft.

Fischers Bilanz trübt sich zweitens dadurch ein, dass er die von linker Seite bevorzugte Rolle Deutschlands als „Zivilmacht“ nicht wirklich vorangebracht hat. Klassische Macht- und Geopolitik hat ihn stets mehr interessiert – schon bei seinem ersten Besuch in Washington in den 80er-Jahren (den der Autor seinerzeit mit einfädeln durfte) zog der ausgewiesene Umweltpolitiker jedes Treffen mit einem nachrangigen Beamten des State Department einem Gespräch etwa mit dem Sierra Club, der mitgliederstärksten US-Umweltorganisation, vor. Das Projekt der sozialökologischen Modernisierung, das ja eine außenpolitische Komponente hat und als Blaupause einer anderen Globalisierung dienen könnte, überließ er Kabinettskollegen, die der Klimapolitik und Entwicklungszusammenarbeit auch keinen deutschen Stempel aufdrücken konnten. Und was den von Fischer emphatisch favorisierten Multilateralismus unter dem virtuellen Gewaltmonopol der UN anbelangt, ist er, wie ihm konservative Realisten zu Recht vorhalten, dringend auf Kooperation mit den USA und dem „neuen Europa“ angewiesen.

Verdienste oder das Scheitern Fischers werden bitte nicht an der Aufarbeitung der Geschichte …

Wenn die EU-Verfassung scheitert, steht Fischer vor einem Scherbenhaufen. Das droht drittens auch für das Vorhaben, bei dem Schröder und Fischer an einem Strang gezogen haben und wieder mit Chirac im Bunde waren: beim couragierten Engagement für den Beitritt der Türkei in die EU. In gewohnter Arbeitsteilung hat der Kanzler den Realo gegeben, während Fischer den Beitritt zum neuen „D-Day“ für die islamische Hemisphäre erhob (womit er bei der Zielorientierung gar nicht so weit entfernt liegt von den neokonservativen Internationalisten in Washington). Die Türkei zeigt sich widerspenstig und ist womöglich nicht zur Fortführung des Reformprozesses bereit, die man als Messlatte nicht aufgeben darf. Doch wenn die Zivilmacht Europa schon an diesem Punkt stockt, wird auch die regionale Neuordnung von Tel Aviv bis Teheran ohne EU-Beteiligung erfolgen, und die ist, wie man Fischer zustimmen kann, der Schlüssel für eine friedlichere, gerechtere und demokratische Welt.

Wenn Fischer scheitert, wäre das nicht ihm allein anzulasten. Eine ganze politische Generation stünde mit ziemlich leeren Händen da. Es wäre wünschenswert, wenn dies nicht magere Schlussbilanz, sondern verbesserungswürdiger Zwischenstand wäre. Denn es ist kaum anzunehmen, dass die „Guidoisierung“ oder „Verpflügerung“ der auswärtigen Politik unter einer schwarz-gelben Koalition bessere Ergebnisse zeitigen könnte. CLAUS LEGGEWIE