: berliner szenen Trinken und Sinken 1
Ich rief noch „Vorsicht“
Ein Mensch folgte seinem Oberkörper, Waldemar Ecke Pückler, die Beine versagten allen Dienst, hielten den Restkörper allerdings hoch, während sie dem Oberkörper folgten. Er ging wie ein Affe, fast berührten seine Hände den Boden, dabei rannte er gegen ein Auto, von dort gegen eine Hauswand, doch sein Tempo nahm nicht ab.
Schließlich rannte er gegen einen Bauzaun, der über den ganzen Gehsteig verlief, er konnte wohl nicht ausweichen. Schon vorher war offensichtlich, dass er die Arme nicht nutzen würde, um sich abzustützen, sie flogen hin und her, zwei dicke, unten ausgefranste Seile, die an einem Körper baumelten. Ich rief noch „Vorsicht“, zu spät. Noch immer knickten die Beine nicht ein. Er nutze den Ellenbogen, um sich frei zu machen, und nahm seine gefährliche Geschwindigkeit auf.
Ich ging auf ihn zu, doch er rannte schon, auf die gleiche Weise wie eben, an mir vorbei, im größtmöglichen Bogen um die Baustelle. Plötzlich riss es ihn, vielleicht war er gestolpert, vielleicht sahen die Beine ein, dass es keinen Sinn mehr hatte, lang auf die Straße. Auf das Gesicht. Als ich näher kam, sah ich, dass seine Nase blutete. Dann sah ich die andere Pfütze, er hatte unter sich gemacht. Ich ekelte mich, trat dennoch näher heran, da schlug er nach mir. Ich rief also die Polizei übers Mobiltelefon, während sich der Gefallene aufrappelte und an einem nahen Baum festhielt. Jetzt hielt ein Auto neben mir. „Schlägerei oder was?“, rief der Typ hinterm Steuer. „Suff“, sagte ich und zeigte auf ihn. „Okay, was tun?“, fragte der Mann im Auto. „Polizei“, sagte ich und zeigte aufs Handy. Da sahen wir, dass der Typ wieder lief, schnell, quer über den Lausitzer Platz. „Lass ihn“, meinte der Autofahrer, „seine Füße kennen den Weg.“ JÖRG SUNDERMEIER