: Umkämpfte Werte
Berliner SPD-Votum für Werteunterricht stößt bundesweit auf Protest – längst nicht nur in der Union
BERLIN taz ■ Das Vorhaben der Berliner Sozialdemokraten ist deutschlandweit so einzigartig wie umstritten – das zeigen die heftigen Reaktionen der Bundesparteien auf den jüngsten Beschluss der Hauptstadt-SPD: Ab dem Schuljahr 2006/07 soll in Berlin verpflichtender Werteunterricht auf den Stundenplänen stehen. Religion würde dadurch zum freiwilligen Zusatzfach herabgestuft. Der Plan stößt über die politischen Lager hinweg auf Protest. Auf Antrag der CDU-Fraktion behandelt heute sogar der Bundestag in einer aktuellen Stunde den Streitfall. Als einen „aggressiven Akt gegen Religion“ prangerte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Norbert Röttgen (CDU), die geplante Einführung des Pflichtfachs an. Es sei das Recht der Eltern und Schüler, über einen Religionsunterricht zu entscheiden. Was SPD und PDS planten, trage zur „Entwurzelung“ bei.
Auch Spitzenvertreter von SPD und Grünen wenden sich gegen den jüngsten Parteitagsbeschluss der Hauptstadt-SPD, an Schulen von der 7. bis zur 10. Klasse Werteunterricht als Pflichtfach einzuführen.
SPD-Chef Franz Müntefering warnte laut Berliner Zeitung vor einem Rückfall der Hauptstadt-SPD hinter das Godesberger Programm. Mit ihm hatte sich die SPD 1959 vom Klassenkampf verabschiedet und zur Volkspartei gewandelt. Ähnlich kritisierte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) den Berliner „Sonderweg“. Der sei zudem verfassungsrechtlich „problematisch“. Der Staat des Grundgesetzes sei weltanschaulich neutral, er müsse Religionsfreiheit garantieren und habe nicht die Aufgabe, selbst Werte vorzugeben.
Auch die Grünen im Bundestag können sich für den Vorstoß der Berliner SPD nicht begeistern. Der Staat habe die Finger davon zu lassen, die Sinnfragen zu definieren, warnte die kirchenpolitische Sprecherin der Fraktion, Christa Nickels: „Wie das ausgeht, haben wir im Kommunismus oder Nationalsozialismus erlebt.“ Der Staat könne Inhalt und Qualität des Religionsunterrichts auch für islamische Schüler nur sichern, wenn dieser ein Pflichtfach sei. Sonst könnten alle möglichen Religionsgemeinschaften im Unterricht „machen, was sie wollen“.
Trotz des breiten Protests gilt die Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus für das Projekt als sicher. Sowohl der Koalitionspartner PDS als auch die Grünen sind für den verpflichtenden Werteunterricht. Die Berliner CDU will entgegen juristischer Bedenken vor dem Landesverfassungsgerichtshof klagen. „Eine Klage kann rechtlich gut begründet werden“, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Nicolas Zimmer. Das geplante Unterrichtsfach sei faktisch ein Grundrechtseingriff. MATTHIAS LOHRE