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Archiv-Artikel

Er ist, Gott sei Dank, beim Film

EINFACH-KOMPLIZIERTE MENSCHEN Der Underground-Filmer Lothar Lambert wird heute 65 Jahre alt. Eine Familie von Laiendarstellern hat sich um ihn geschart, die Trennung von Privatem und Öffentlichem zählt für sie nicht

„1 Berlin-Harlem“ löste wegen expliziter Sexszenen einen Skandal aus und kam später ins New Yorker MoMA

VON DETLEF KUHLBRODT

Lothar Lambert ist einer der emsigsten Filmregisseure. 33 Filme hat er bislang veröffentlicht. Der 34. – „Alle meine Stehaufmädchen“ – ist gerade fertig geworden. Ungefähr die Hälfte seiner Filme wurde im Panorama-Programm der Berlinale uraufgeführt. Seit 35 Jahren macht der aus Thüringen stammende Maler und Filmregisseur Undergroundfilme; mit kleinem Budget, geringem Aufwand, mit Laiendarstellern und meist ohne Drehbuch verfilmt er das, was ihm begegnet, und auch die, die ihm begegnen.

Schwule, Schmalfilmer

Seine Geschichten sind meist von Brecht’scher Einfachheit – vielleicht weil er „nie besonders interessiert war an den 68er Sachen“ und sich nicht für Politik begeisterte, sondern für konkrete, meist einfach komplizierte Menschen – Außenseiter, Transen, Schwule, Depressive, Schmalfilmer. So erfüllen seine Filme eigentlich die emanzipatorischen Ansprüche der Kulturrevolutionäre von damals. Wie kaum ein anderer Regisseur hält er bis heute an der Utopie der Nichttrennung von Privatem und Öffentlichem, Leben und Kunst fest, ermutigt seine wunderbaren und anstrengenden Laiendarsteller, von ihren ausgedachten oder echten seelischen Wunden zu sprechen, sich in ihren Sehnsüchten nach einem diffusen Mehr an Leben darzustellen. Er selber macht dabei auch immer gerne mit.

Lamberts sozialrealistische 70er-Jahre-Filme – „Ex & Hopp“ (1972), „1 Berlin-Harlem“ (1974), „Tiergarten“ (1979) usw. – erinnern teils ein bisschen an den frühen Fassbinder („1 Berlin-Harlem“ nimmt „Angst essen Seele auf“ vorweg) und gehören zum besten des Neuen Deutschen Films. Kurzzeitig galt er auch mal als Berliner Andy Warhol. Über das Amateurhafte, die raue Kamera und die oft improvisierte Arbeit mit teils zu allem entschlossenen Laiendarstellern wird eine große Nähe zum Publikum hergestellt. Das liebt seine Filme entweder, oder es kann mit ihnen gar nichts anfangen.

Die Lambert-Filme der frühen 80er – die berühmte „Alptraumfrau“, „Fräulein Berlin“ oder „Fucking City“ – wirken quasi pornografisch-existenziell; einer seiner drei Filme mit Normalbudget, „Paso Doble“, scheiterte am Ku’damm. Danach wurden die Filme ruhiger, der Humor wurde wärmer, die Darsteller älter. Manchmal schien Lothar Lambert auch ein wenig kratzbürstig. Kleine seltsame Geschichten standen neben lambertesken Dokumentationen wie dem Porträtfilm „Ich bin, Gott sei Dank, beim Film“ (2003) über die Schauspielerin Eva Ebner, die 2006 mit 84 Jahren verstarb. Mein Lieblings-Lambert-Filmtitel ist „Tagebuch eines Sexmoppels“ (2004).

Im letzten Jahr gab es einen ganz tollen Film: „Im tiefen Tal der Therapierten“, der von allerlei Traumata, Sex in unterschiedlichen Spielarten, durchgeknallten Therapeuten und erdrückenden Müttern erzählt. Besonders bewegend in diesem Film ist auch ein Kurzauftritt der Berlinale-Fotografin und langjährigen Mitstreiterin Erika Rabau.

Ich lernte Lothar Lamberts Filme Mitte der 80er-Jahre kennen und habe seitdem keinen versäumt. Einmal durfte ich einen Satz in einem seiner Filme sagen, was aber nicht so gut gelang.

Das alte Westberlin

Die Zeit ging vorbei. Vieles hat sich verändert. Manche aus der Lambert-Family sind gestorben, andere, wie Dagmar Beiersdorf, haben sich aus dem Filmgeschäft zurückgezogen, andere – wie Ulrike S. – entfernten sich; manche sind geblieben, andere – Nilgün Taifun, Erika Rabau, Michael Sittner –hinzugekommen, und ein langjähriger Darsteller – Badr Mohammed – ist nun bei der Islamkonferenz.

Den Jubilar zu ehren, zeigt das Kino in der Lambert-affinen Brotfabrik eine Woche lang seine drei Lieblingsfilme: „Du Elvis, ich Monroe“ (1989), weil er das Kreuzberg vor dem Mauerfall zeigt, „Die Alptraumfrau“ (1980), weil der der einzige kommerzielle Erfolg war, und „1 Berlin-Harlem“ mit Fassbinder, Ingrid Caven, Evelyn Kühneke, Brigitte Mira, Günter Kaufmann und Dietmar Kracht, weil der Film wegen expliziter Sexszenen Skandal erregte und später in die Sammlung des New Yorker Museums of Modern Art aufgenommen wurde. Allein schon wegen der dokumentarischen Aufnahmen aus dem untergegangenen Westberlin sollte man sich diese Filme unbedingt anschauen.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!