: Berge und Sabanova und der deutsche Pop: mal mit und mal ohne Goethe zum Frühstück
Zugegeben, das ist schon gemein. Dass deutsche Bands, die sich ihrer Muttersprache befleißigen, einen Standortnachteil in Kauf zu nehmen haben: Man versteht nämlich, im Gegensatz zu den sich des Englischen bedienenden Mitbewerbern, was die da so singen. Und das kann dann doch manchmal etwas seltsam werden. So muss die Sängerin von berge, die großen Wert auf die Kleinschreibung legen, auf dem Debütalbum „keine spur“ solche Sätze vortragen: „Eine Masseneuphorie schleicht sich leicht durch meinen Mund“. Oder auch: „Kleiner Punkt am Horizont hält uns ganz leise bis in die Nacht.“ Im Weiteren wird ein Herz zum Magneten, zeigt sich Luft blau und weiß, stauben Tränen ein und wird schließlich in eisigen Fluten Blut verloren.
Man sieht also, das Berliner Quartett neigt nicht nur zur anspruchsvollen Bildsprache, sondern scheint akut an Literatur erkrankt. Doch die Grenze zwischen Poesie und Bodenlosigkeit ist allzu schmal – und zudem oft Ansichtssache. Weshalb wir nun mit dem Loben beginnen wollen: Und sagen müssen, dass berge einen ganz formidablen, ja um nicht zu sagen, handwerklich prima austarierten Poprock zu spielen in der Lage sind: Die Balladen sind stimmungsvoll, dass einem ganz wehmütig wird. Wenn es dann etwas flotter vonstatten geht, demonstrieren die Gitarren gern den alten Laut-Leise-Trick: Eher akustisch in der Strophe, dann kräftig verzerrt im Refrain. Und schon geht er am Horizont blendend weiß auf, der Silbermond.
Auch Sabanova kommen aus dem Land der Dichter und Denker, aber ihnen merkt man das nicht ganz so offensichtlich an. Auch sie singen Deutsch, auch sie reimen, aber statt so zu tun, als hätte man einen Goethe gefrühstückt, bemühen sie sich auf ihrem dritten Album „lila.“ um eine diesen Zeiten angemessenere Sprache. Und das nicht nur in „Weggeklickt“, wo Sänger Henning Fuchs, der mal Songwriting studiert hat an Paul McCartneys Institut for Performing Arts in Liverpool, verzweifelt fleht, seine Liebste möge ihm eine SMS schicken.
Zwar verrutscht auch hier mancher Reim ins Lächerliche („Es ist so furchtbar kalt/Hier gibt es keinen Halt“), aber das wird dann recht souverän mit einer gesunden Portion altmodischer Ironie abgefangen. Mit der geht das Quartett auch die Musik an: Wenn es in „Der frühe Regen“ einen Reggae spielt, hört sich der an wie Funk. Wenn’s ein Piratensong werden soll, klingt’s dafür wie balkanische Folklore. Dazu nerven die Gitarren aus Überzeugung und jammert schon mal im Hintergrund eine deplatzierte Orgel. Völlig überflüssige Elektroniksperenzchen müssen auch sein und weil Sängerin Franziska Orso im Klezmer-Workshops Klarinette spielen gelernt hat, soll natürlich auch dieses quietschige Instrument zum Einsatz kommen. Dafür aber kann Orso „BabyBabyBaby“ singen, ohne dass man sich schämen muss. In der Konsequenz fragt man sich ständig: Ist das noch überzeugter Dilettantismus oder etwa schon versehentliche Genialität? Vielleicht ist das Großartige an Sabanova ja, dass genau das nicht zu entscheiden ist. THOMAS WINKLER
■ Berge: „keine spur“ (www.hoertberge.de), live bei „So klingt Berlin“ heute im Maschinenhaus
■ Sabanova: „lila.“ (Fuchsmusik/ Toca), Record Release Party am Samstag im Privat Club