: Politik mal wieder gegen Ratingagenturen
FINANZKRISE Nach der Herabstufung von Frankreich und Österreich will die Bundesregierung nun den Einfluss der Agenturen auf die Märkte begrenzen
BERLIN taz | Nach der Herabstufung der Kreditwürdigkeit von neun Euroländern durch die Agentur Standard & Poor’s (S&P) am Freitag platzt den Regierenden in Europa so langsam der Kragen. Die Bundesregierung will nun den Einfluss der Agenturen einschränken: Ratings sollen keine zwingende Grundlage für Geschäfte von Versicherungen und Fonds mehr sein.
Bislang sind Versicherer gesetzlich zum Verkauf von Staatsanleihen verpflichtet, deren Bewertung unter ein bestimmtes Niveau sinkt – was zwangsläufig zum weiteren Einbrechen der Kurse der betroffenen Anleihen führt. Auch Banken, die ihre Kredite je nach Risiko mit mehr oder weniger Eigenkapital unterlegen müssen, sollen sich künftig stärker auf ihre eigenen Analysen und weniger auf die der Ratingagenturen verlassen. Entsprechende Pläne der EU-Kommission könnten beschleunigt eingeführt werden. „Wir haben ja als Gesetzgeber zum Teil selbst die Rolle der Ratingagenturen verstärkt, indem wir für bestimmte Anlagen vorschreiben, dass sie ein bestimmtes Rating haben müssen“, räumte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) kündigte zudem Gespräche mit anderen EU-Staaten über die schon seit Beginn der Krise immer wieder diskutierte Schaffung einer eigenen europäischen Ratingagentur an. Damit solle verhindert werden, dass „politische oder wirtschaftliche Interessen zulasten des Euro und zulasten Europas zur Geltung kommen können“.
Schon seit Ausbruch der Finanzkrise 2007 bemühen sich die Regierungen, die Ratingagenturen in die Schranken zu weisen. Zur Vermeidung von Interessenkonflikten dürfen daher in der EU die Agenturen nicht mehr als Berater an der Konstruktion von Wertpapieren mitwirken und diese dann selbst benoten. Ein weiterer Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zielt auf eine höhere Transparenz und bessere Begründungen bei der Bewertung von Staaten.
Seit sich die Finanzkrise von den Banken immer mehr auf überschuldete Staaten verlagert hat, geht es den Regierungen in erster Linie darum, einen Teufelskreis zu verhindern. Denn bei einer schlechteren Bewertung müssen die Staaten höhere Zinsen für ihre Schulden zahlen. Durch diese Mehrkosten aber ist der Abbau der Staatsverschuldung noch schwieriger als ohnehin schon.
Allerdings ist zweifelhaft, ob eine strengere Regulierung der Agenturen daran etwas zu ändern vermag. Die Bewertung der Staaten durch die Agenturen beruht weder auf Mauscheleien noch auf Insiderwissen. Das zeigte sich auch gestern wieder: Die Rating-Entscheidungen vom Freitag wurden an den Börsen mit vollkommenem Gleichmut aufgenommen. Es hatte ohnehin niemand einen Kurseinbruch erwartet, weil die finanzielle Lage in Frankreich und Österreich bekannt war und daher von Börsianern längst eingepreist wurde.
NICOLA LIEBERT