Der zähe Kampf gegen das Berufsverbot
40 Jahre Radikalenerlass – diese fast vergessene Geschichte muss einmal aufgeschrieben werden. Das Berufsverbot, besser bekannt als Radikalenerlass, beschlossen am 28. Januar 1972 unter Willy Brandt. Im Visier die Linken, so einer wie Klaus Lipps, heute 70 Jahre alt, aus Baden-Baden. Einer, der als junger Lehrer partout nicht von der DKP lassen wollte. Aber ein zäher, ein hartnäckiger Überzeugungshumanist, der die Ämter im Südweststaat jahrzehntelang in Atem hielt – bis er gewonnen hatte.
von Jürgen Löhle
Baden-Baden, Pariser Ring 39. Eine Adresse, die es vor zwei Jahren noch nicht gab. Ein neu gebautes, alternativ angehauchtes Projekt von Leuten, die „selbstständig leben wollen, aber nicht allein“, so ihr Credo. Hier wohnt also Klaus Lipps mit seiner Frau Christina, die jeder nur Tina nennt. Aber wo? „Lipps? Da müssen Sie an der roten Tür klingeln“, erklärt eine Frau, die sich an diesem windigen und widrig-nassen Wintertag über den gemeinsamen Platz der Anlage zum Briefkasten duckt.
Wirklich leicht zu finden, die anderen Eingänge erstrahlen weiß. Das hätte man sich allerdings auch denken können. Wo sonst als hinter einer roten Tür soll ein ehemaliges DKP-Mitglied auch schon wohnen? Lipps ist schließlich einer, der weiß, wie wichtig es sein kann, öffentlich Farbe zu bekennen. Das hat ihn bekannt gemacht, als einen der frühen Fälle, der in Baden-Württemberg vom sogenannten Radikalenerlass getroffen wurde. Und als einen, der mit seinem hartnäckigen Widerstand zum Albtraum der Oberen wurde.
Es war der 28. Januar 1972, als sich die Ministerpräsidenten unter Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) trafen, um die „Grundsätze über die Mitgliedschaft von Beamten in extremen Organisationen“ zu beraten. Am Ende des Tages kam eine Regelung heraus, die als „Radikalenerlass“ in die Geschichte einging und die in den 70er-Jahren die Hysterie der Linkenhatz der McCarthy-Ära der USA der frühen 50er ins Land schleppte. Heute wirkt das wie Politfolklore aus den Urzeiten des gesellschaftlichen Aufbruchs nach 68, aber es war real.
Und es war drastisch: SPD-Mitglieder, die nicht mehr Lehrer sein sollten; Gewerkschafter, die keinen Zug mehr lenken oder Post austragen durften; in Bayern traf der Bann auch schon mal ein Mitglied der Julis, der Jugendorganisation der FDP. Wer Beamter werden wollte, musste nachweisen, dass er sein Handeln immer an den Vorgaben des Grundgesetzes orientiert. Wer verdächtig war und warum, bestimmte der Verfassungsschutz, der seine Spitzel in Unis und bei Versammlungen einschleuste. Dabei schaute der Dienst fast ausnahmslos nach links. Und vom 28. Januar 1972 an sollte dann die Verfassungstreue bereits mit der bloßen Mitgliedschaft in der DKP verletzt sein. Zumindest sahen das der SPD-Kanzler und die Ministerpräsidenten so.
Beamter auf Probe mit eigenem Kopf
Klaus Lipps war damals junger Lehrer im Windeck-Gymnasium im badischen Bühl. Der 30-Jährige unterrichtete Französisch, Mathe und Sport, war erst Referendar, dann Beamter auf Probe und hatte einen eigenen Kopf. Immer schon. Lipps war Gewerkschafter, Personalrat und Linker. Als Kind war ihm das Kommunistenpärchen im heimischen Erdgeschoss näher als der Vater, ebenfalls Lehrer, „aber immer noch mit Nazigesinnung, was ich nicht begreifen konnte“, erinnert er sich. Als 1971 in Hamburg die ersten Lehrer wegen kommunistischer Gesinnung Probleme bekamen, trat Lipps in die DKP ein. Aus Überzeugung, aus Suche nach politischer Heimat, aber auch, „weil man sich doch wehren musste“, sagt er.
Klaus Lipps wurde so eines der frühen Opfer des Radikalenerlasses im Südweststaat. Im März des Jahres 1975 gab es statt der Übernahme zum Beamten auf Lebenszeit die Kündigung, nachdem er sich bei einer Anhörung auf das grundgesetzlich geschützte Recht auf Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Partei berief, ansonsten aber schwieg. Sein Dienstvergehen: Mitgliedschaft in der DKP – für Lipps der Beginn einer jahrelangen Prozesskette, die erst im Mai 1986 in letzter Instanz mit seinem Sieg endete. 15 Monate später war Klaus Lipps Beamter auf Lebenszeit.
Fast 13 Jahre Kampf gegen einen Erlass, der am 28. Januar dieses Jahres 40 Jahre alt wird. Man redet zwar schon lange kaum noch darüber, aber in Bayern wird Anwärtern im öffentlichen Dienst immer noch ein Formular präsentiert, auf dem sie sich von Organisationen distanzieren sollen, die vom Verfassungsschutz als „linksextremistisch“ eingestuft werden. In den meisten anderen Bundesländern ist der Erlass oft schon seit Ende der 80er-Jahre Geschichte, im Ländle aber erst seit 2007, als Annette Schavan (CDU) endgültig mit dem Versuch scheiterte, den Heidelberger Realschullehrer Michael Csaszkóczy wegen dessen Engagement in antifaschistischen Gruppen aus dem Schuldienst zu kegeln.
Die Gerichte pfiffen die Behörden der damaligen Kultusministerin zurück, seither ist auch in Baden-Württemberg nicht mehr versucht worden, den Erlass anzuwenden. Schlappe 17 Jahre nach den SPD-Ländern. Heute gilt die EU-Richtlinie, die eine Diskriminierung wegen politischer Überzeugungen verbietet. Und es ist kaum zu befürchten, dass Grün-Rot im Ländle den Erlass noch mal ausgräbt, zumal Winfried Kretschmann als Student an der Uni Hohenheim Mitglied im KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschlands) war, aus dem der heute grüne Ministerpräsident vor seinem Referendariat aber lieber austrat. Probleme gab es für ihn dennoch.
Klaus Lipps war dagegen einer der frühen Fälle im Südweststaat, die damals Post von Kultusminister Wilhelm Hahn bekamen. „Nicht tauglich für den Schuldienst“, hieß es, obwohl sich viele Eltern und Teile des Kollegiums vehement für ihn einsetzten. Gefeuert wurde er trotzdem, klein beigegeben hat er nie.
Heute sitzt der 70-Jährige Pensionär zufrieden in seiner Wohnung und stöbert in seinen Unterlagen. Eines hatten seine Gegner damals völlig unterschätzt. Für Lipps ist sich wehren Programm, der Mann stellt sich in den Wind, auch wenn es stürmt. Und er ist zäh. Der Badener gründet nach seiner Entlassung einen Aktionskreis gegen Berufsverbote, tingelt mit Vorträgen über die Dörfer, gibt Nachhilfe, unter anderem den Kindern des Bühler Chefarztes, die ihren Lehrer nicht missen wollen. Viele Eltern setzen sich für ihn ein, Teile des Kollegiums stehen hinter ihm, aber nicht alle. „Für die anderen war ich der politische Feind“, sagt er.
„Allein schaffst du das nicht“
Und für die Oberschulämter ein Albtraum. Lipps ließ sich nicht einfach aussortieren, schon im Oktober 1975 gewann er vor dem Verwaltungsgericht in Karlsruhe und musste bis zum Ende des Verfahrens wieder eingestellt werden. „Mir war immer schon klar, dass man Öffentlichkeit schaffen muss“, sagt er. Und der Aufgabe gaben sich seine Frau Tina (ebenfalls Lehrerin) und er regelrecht hin, auch wenn zu einigen Versammlungen manchmal nur eine Handvoll Leute kamen. „Allein schaffst du das nicht“, sagt Klaus Lipps heute, „vor allem, weil du vorher keine Ahnung hast, wie viel Kraft das kostet.“ Und Zeit. Lipps drehte sogar den Film „Verfassungsfeinde“ für die Kurzfilmtage von Oberhausen 1976. Heute wirkt der Streifen beinahe putzig, „Workshops“ mit dauerrauchenden Diskutanten in verqualmten Hinterzimmern, danach mit dem Käfer gurtlos zur Demo. Damals waren die 30 Minuten Zelluloid aber politische Arbeit und erfolgreich obendrein. Der Film wurde prämiert.
Lipps gewann auch nach seiner Einstellung auf Widerruf all seine Prozesse, aber das Land wollte nicht aufgeben. Unter Kultusminister Roman Herzog ereilte ihn die zweite Kündigung. Wieder siegte Lipps. Dann versuchte es der Anti-Linke-Hardliner Gerhard Mayer-Vorfelder. Erfolg hatte auch MV keinen, weil die Gerichte immer wieder feststellten, dass die bloße Mitgliedschaft in der DKP kein Grund war, nicht Lehrer sein zu dürfen. Und sonst ließ sich eben partout nichts finden gegen den beliebten Pädagogen.
„Ich hatte aber auch das Glück“, sagt er, „alle meine Verfahren aus dem Beruf heraus bestreiten zu können.“ Lipps war geschätzt, hielt sich politisch im Unterricht zurück, keilte aber weiter gegen die formal-sturen Versuche der jeweiligen Landesregierungen, ihn zu feuern. Unterstützt wurde er dabei von vielen, auch vom TV-Journalisten Franz Alt. Und von seiner Familie, die in der Zeit um zwei Töchter größer geworden war. „Dieser Rückhalt ist wichtig“, sagt er, „andere sind an diesen Verfahren zerbrochen.“
Er nicht, obwohl ihm beim Showdown in Baden-Baden sogar Knast drohte. 1986 schwebte MP Lothar Späth per Helikopter zum Treffen „40 Jahre CDU“ an die Oos. Lipps hatte sich wie so oft mit seinen Protesttafeln vor Brust und Rücken vor dem alten Bahnhof (dem heutigen Festspielhaus) postiert. Zwei Kriminalbeamte nahmen ihn in die Mitte, einer funkte in Lipps' Hörweite den MP im Heli an. „Er fragte, ob sie mich verhaften sollen“, erinnert sich Lipps. Späth pfiff den Beamten zurück und sagte: „Mit dem rede ich.“
Das Cleverle kümmerte sich darum
So kam es dann auch. Der mittlerweile bekannte badische Kämpfer traf auf das schwäbische Cleverle. Späth hatte vor seinem Kultusminister begriffen, dass die Hartnäckigkeit des streitbaren Pädagogen langsam zum Gift wurde für das Image seiner Landesregierung. Am Ende verabschiedete sich der MP mit den Worten: „Ich kümmere mich darum.“ Ein paar Monate später war Klaus Lipps bis zu seiner Pensionierung Beamter auf Lebenszeit.
Ein Kampf, der aus der Sicht von Lipps wichtig war, weil er auch anderen half. Schließlich gab es bis zum Ende des Spuks bundesweit etwa 11.000 offizielle Verfahren, es kam zu 1.250 Ablehnungen und 265 Entlassungen. Und ohne die Beharrlichkeit von Lipps und seinen Mitstreitern wäre vielleicht auch der vorläufig letzte Fall anders ausgegangen. 2004 äußerte das Kultusministerium des Landes unter Annette Schavan Zweifel an der Verfassungstreue des Heidelberger Realschullehrers Michael Csaszkóczy und versagte dem fertigen Pädagogen die Aufnahme in den Staatsdienst. Csaszkóczy versuchte es in Hessen, bekam zunächst eine Stelle – und wurde am ersten Schultag vom Rektor, der ihn geholt hatte, auf Anweisung von oben wieder hinauskomplimentiert. Csaszkóczy hatte sich in der Heidelberger Antifa-Bewegung gegen Rechtsextremismus engagiert, ein paar Mal demonstriert und bei der „Roten Hilfe“ mitgearbeitet. Das genügte, um ihn jahrelang vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen, wie er heute aus Unterlagen weiß.
Aber auch der Lehrer für Deutsch, Geschichte und Kunst gewann nach drei Jahren, in denen er sich auch mit Hartz IV über Wasser halten musste. Seit 2007 ist er an der Realschule in Eberbach im Dienst. Der heute 41-Jährige hat am Ende sogar ein Novum geschafft. 2009 verurteile das Landgericht Karlsruhe Baden-Württemberg zur Zahlung von 32.777 Euro Schadenersatz für Csaszkóczys Verdienstausfall während der drei Jahre Berufsverbot. Eine Ohrfeige für das Land. „Ich bin der Einzige, der so ein Urteil geschafft hat“, sagt Csaszkóczy. Für die alten Fälle wie Lipps kommt das freilich zu spät. Verjährt.
Seither ist Ruhe im Ländle, der Erlass bald 40 Jahre alt und Geschichte. Wirken tut er trotzdem. Denkt zumindest Csaszkóczy. „Junge Studenten trauen sich heute doch kaum noch zu Demos auf die Straße. Sie sagen: Geht nicht, ich will ja später Lehrer werden.“ Zumindest die Einschüchterung habe also funktioniert.
Nicht bei Klaus Lipps, und langweilig ist ihm auch nicht. Im Netz fahnden er und seine Frau nach ehemaligen Betroffenen, um am 28. Januar eine möglichst breit getragene Erklärung zum 40. Jahrestag des Radikalenerlasses zu veröffentlichen. Im Internet, vielleicht sogar als Anzeige in der taz. Sie fordern Aufarbeitung, Rehabilitierung und die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Auch im von den Lipps initiierten Wohnprojekt ist noch manches zu tun, und montags geht es auch nach der Volksabstimmung weiter zu den Demos vor den Stuttgarter Hauptbahnhof. „Man muss das Projekt weiter kritisch beobachten“, sagt Lipps, lächelt und legt die Hände entschlossen vor sich auf den Tisch.
Abfahrt vom Pariser Ring. Ein Blick zurück – eigentlich hätte es einem gleich auffallen können. Die Wohnung mit der roten Tür liegt ganz links außen in der Anlage. Wo auch sonst.