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Archiv-Artikel

Nur was kaputtgeht, bewegt sich auch

GÖTTERBOTE Der 78-jährige Singer-Songwriter Leonard Cohen zehrt auf seinem neuen Studioalbum „Old Ideas“ selbstbewusst, aber sinnlich wie eh von seiner Lebenserfahrung

Der Priester als Medium zwischen den Menschen und einer höheren Macht. Ein reizvoller Zwiespalt, der sich durch Cohens gesamte Karriere zieht

VON EVA BEHRENDT

Mit einem ausgefuchsten Selbstporträt eröffnet der 78-Jährige sein schönes neues Album: „I love to speak with Leonard / He’s a sportsman and a shepherd / He’s a lazy bastard / living in a suit“, heißt es in „Going home“. Nur: Wer spricht hier? Der wahre Leonard mit dem Popstar Cohen? Gott mit seinem Geschöpf? Und was ist das erst für ein Kerl, der sich tolldreist zum Sprachrohr Gottes macht? Als solches wird „Leonard“ auch im Song gepriesen und belächelt: „He will speak these words of wisdom / Like a sage, a man of vision / Though he knows he’s really nothing / But the brief elaboration of a tube.“

Immer wieder in Demut

Gerade mal drei Jahre ist es her (für Wiederholungstäter zwei), dass der große Songwriter und Dichter zum Zwecke der Altersvorsorge großzügige, drei Stunden dauernde Konzerte gab, die aus einem disparaten Publikum eine Gemeinde und aus einer geist- und sinnlosen Architektur wie der Berliner O2-Halle eine Kathedrale formten. Wir sahen einen Gentleman, elegant, aber bescheiden, bedachtsam, aber mit Humor, der immer wieder in Demut den Filzhut vor seinen exquisiten Sängerinnen und Musikern zog und die Zuschauer formvollendet um Verständnis für eine Pause bat: keine Verleugnung, kein Herunterspielen, kein Dagegenangepose, sondern ein selbstbewusstes Herzeigen des Alters. Danach hätten ihm die meisten blind die Tischrede der nächsten Kindstaufe oder das Bundespräsidentenamt anvertraut.

Auch in Cohens Lyrik, zumal in seinen religiös gefärbten Songs, finden sich immer wieder Aphorismen, die man sich sofort in den Ehering oder auf den Grabstein gravieren lassen würde. Etwa der Zweizeiler aus „Anthem“, in dem es heißt: „There’s a crack in everything / That’s how the light gets in“ (Durch alles geht ein Riss / so fällt das Licht hinein), mit anderen Worten: Nur was kaputtgeht, bewegt sich auch – oder „Love is not a victory march / It’s a cold and it’s a broken Hallelujah“ (Liebe ist kein Siegesmarsch / sondern ein kaltes, kaputtes Hallelujah) aus dem in den letzten Jahren etwas zu häufig gecoverten „Hallelujah“.

Geradezu typisch für Leonard Cohen ist es da, dass er sich in „Going home“ einmal wieder von der sich anbietenden Rolle des Weisen, des Sehers, distanziert – und sich und uns heiter und ein bisschen kokett erklärt, dass er weder eine Last trage noch eine Vision habe, sondern nur die Erlaubnis, sofort weiterzusagen, was Er ihm einflüstert. Um dann zum tröstenden Refrain anzuheben „Going home behind the curtain / going home without the costume that I wore“.

Der Künstler als Priester, der sich als Medium zwischen den Menschen und einer höheren Macht versteht: Das ist eine privilegierte und letztlich doch machtlose Position. Dieser reizvolle Zwiespalt zieht sich nun schon seit 45 Jahren durch das Werk des kanadischen Juden, der 1934 in Montreal zur Welt kam, zunächst Dichter und Schriftsteller war, in den 60er Jahren ein Bohemeleben auf der griechischen Hippieinsel Hydra führte und eher aus Geldnöten zum Musikgeschäft fand. Lange Zeit bezog sich die Ambivalenz zwischen Privileg und Ohnmacht vor allem auf Cohen als Ladies’ Man und modernen Minnesänger, der seinen immer neuen Flammen in immer neuen Variationen das Lied vom Kommen, aber eben auch vom Gehen der Liebe zu Füßen legte, der zwar einen enormen Frauenverschleiß pflegte, aber auch darunter litt, niemals anzukommen.

Melancholie im Gepäck

Schon mit „The Stranger“ auf seinem Debütalbum schrieb Cohen den Soundtrack der Unverbindlichkeit für die Generationen nach der sexuellen Befreiung: Die Bindungscheuen suchen und finden sich, und wer als Erster den „old schedule of trains“ aus der Tasche zieht, der hat noch lange nicht gewonnen. Tatsächlich hat Cohen seinen rastlosen Wanderern stets auch die Melancholie mit ins Gepäck gepackt, die Trauer um das, was um der Freiheit willen aufgegeben werden musste. Und schon in „The Stranger“ zückt er mit der Refrainzeile „I was just some Joseph looking for a manger“ die Bibel als gewichtige Referenz. Auch deshalb ist Cohens Liebeslyrik so ungeheuer stark: weil es ihm gelang, das irdisch-erotische Kuddelmuddel wieder mit einer metaphysisch-religiösen Dimension in Verbindung zu bringen – als bitteren Widerspruch, aber auch als Möglichkeit der Versöhnung. Nicht zuletzt auch durch die einfache Form des Liedes, das früher Gebet, des Besingens, das einmal Lobpreis war.

All das findet sich – Titel-Stichwort: „Old Ideas“ – auch auf dem neuen Album wieder. Allerdings hat Cohen den Schwerpunkt mittlerweile recht deutlich von den nackten Körpern in Richtung nackte Wahrheit verschoben. So flackern auf seinem zwölften Studioalbum die alten Themen zwar noch einmal auf: Trauer um die Verflossene im zärtlich-vertrauten „Anyhow“, der zähe Geschlechterkampf in „Different Sides“, der Weltschmerz in „Crazy to love you“, das Cohens Freundin Anjani Thomas schon einmal auf einem von ihm produzierten Album veröffentlicht hat. Doch schon „Amen“, das noch als Aufforderung an die Geliebte zum Bekenntnis verstanden werden kann, siedelt, genau wie „Show me the place“, im offenen Grenzgebiet von Gebet und Choral.

Auch musikalisch wimmelt es auf diesem Album nur so vor „old ideas“. Cohens Quellen sind seit jeher der Folksong, Country und seit den späten Siebzigern auch ein reduziert gebrauchtes Disco-Keyboard – vielleicht eine Duftmarke, die dann doch die für Cohen problematische Produktion mit Phil Spector von „Death of a Ladies’ Man“ (1977) hinterlassen hat. „Old Ideas“ zitiert all diese Einflüsse in schöner Gleichberechtigung, in der dialektischen Versöhnungshymne „Come Healing“ kommt auch noch etwas Gospel hinzu, und für „Anyhow“ wagt Cohen sich auf das verspielte Terrain eines leicht angejazzten minimalistischen Elektroniktracks. Eher ungewöhnlich ist eine klassisch bassdominierte Rock-’n’-Roll-Nummer wie „The Darkness“.

Wunderbar durchlässig

Also ein müder Aufguss des Schnees von gestern? Keineswegs. Denn zum einen sind alle zehn Songs in derselben stilsicheren, mitunter fast reduktionistischen Zurückhaltung instrumentiert (nur über die Backgroundsirenen, für die der Meister eine alte Schwäche hegt, tröpfelt manchmal etwas zu viel Zuckersirup hinein) und rollen letztlich nur einen Teppich unter Leonard Cohens Stimme aus, um sie noch besser zur Geltung zu bringen. Zum Zweiten klammert eben diese Stimme, die schon längst nicht mehr „golden“, aber auch alles andere als müde, nämlich für Stimmungen und Atmosphären wunderbar durchlässig ist, den Liederreigen: Sie flüstert, fleht, droht, scherzt, lehnt sich entspannt oder auch resigniert zurück und klingt in „Anyhow“ ehrlich beschwipst: „I’m naked and I’m filthy / have mercy on me, baby!“

Auf dem Albumcover von „Old Ideas“ ist Cohen in einem Foto zu sehen, wie er im schwarzen Anzug und mit Sonnenbrille im Garten sitzt. Das Gras ist grün, die Sonne scheint, der Dichter schreibt etwas in sein Notizbuch. Sieht so der Garten Eden aus? „I got no future / I know my days are few“, singt Cohen kräftig und gut gelaunt in „The Darkness“, einer sarkastischen Hymne auf die Altersdepression. Keiner ist ihr so gut gewachsen wie der Götterbote Cohen, der weiß, dass sie zu jedem Paradies dazugehört. Diesseits wie Jenseits.

■ Leonard Cohen, „Old Ideas“ (Sony)