Zur Langsamkeit verführen

Alles wird getan, um die vom Braunkohletagebau gezeichnete Lausitz neuerdings für die Touristen attraktiv zu machen. Ein Vorschlag für Fans der Langsamkeit: Sie können die Landschaft zwischen Bad Muskau und Cottbus nun per Kutsche erkunden

Sätze werden begonnen und vom Lauf eines Baches weitergeführt Der Blick auf die sich gleichmäßig bewegenden Schimmel lullt ein

VON WALTRAUD SCHWAB

Fürst Pückler (1785–1871) hat nicht nur das Pückler-Eis erfunden, jene dreigeteilte weiß-rot-braune Eiskreation, in der sich – zumindest nach dem Originalrezept – auch Pistazien, Ananas und Datteln verbergen. Pückler war mehr: Er liebte Frauen und den Orient. Er reiste in der Welt umher und schrieb Bücher. Auch war ihm das Angepasste seines Standes nur angenehm, wenn es ihm nützte. Vor allem aber war er einer der berühmtesten Gartengestalter seiner Zeit.

In der Lausitz wird Pückler bis heute verehrt. Denn in Bad Muskau und in Branitz bei Cottbus hat er bemerkenswerte Parks entworfen: Mit Sichtachsen bis zum Horizont, mit künstlichen Hügeln und Seen, mit einem Aufgehen in der Natur und in der Unendlichkeit.

Pückler ist ein Pfund, mit dem die durch den Braunkohletagebau geschundene Lausitz in Zukunft wuchern will. Neben der Seenlandschaft, die rund um die alten Tagebaugruben in den nächsten Jahrzehnten entsteht, soll auch das kulturelle Erbe dieses unorthodoxen Kosmopoliten dem Tourismus zuträglich gemacht werden. Denn Tourismus wird – wenn alles glatt geht – in Zukunft zur Haupteinnahmequelle der Lausitzer.

Die Internationale Bauausstellung (IBA) Fürst-Pückler-Land begleitet die Umgestaltung der spröden Tagebaulandschaft ideell, konzeptionell und finanziell. In einer Werkschau wird derzeit Zwischenbilanz des Landschaftsumbaus gezogen. Unter Regie der IBA ist dabei etwa nicht nur eine Fahrradroute entstanden, die die beiden Pückler-Parks in Bad Muskau und Branitz verbindet, auch mit einer zweitägigen Postkutschenreise werden die 150 Jahre alten gartenarchitektonischen Meisterwerke und die Landschaft dazwischen erkundet.

Postkutschenreisen seien kein Anachronismus in einer Zeit, in der Information in Lichtgeschwindigkeit um die Erde geht, meint Andreas Nemitz. Seit Jahren bietet der Bayer Reisen im vierspännigen Jagdwagen durch Ungarn oder die Toskana an, fährt mit der Postkutsche durch den Bregenzer Wald oder rund um den Starnberger See und überquert mit dem Fünfspänner zudem in zwölf Tagen als Lindauer Bote die Alpen.

Nemitz und Pückler – die beiden passen zusammen. Das haben sich die Verantwortlichen der IBA gedacht. Sie konnten Nemitz dafür gewinnen, die etwa 80 Kilometer lange Tour zwischen den zwei Parks zu entwickeln.

Nemitz kann auf ein ebenso spannendes, wenngleich weniger hedonistisches Abenteuerleben zurückblicken wie das Pücklers. 1944 wurde er 15-jährig Bereiter im Königlich-Bayerischen Privatgestüt von Prinz Ludwig und ein Jahr später Schiffsjunge auf einem norwegischen Postdampfer. Bevor er seinen Schulabschluss nachholte, arbeitete er mit Rentieren in Lappland. Danach schipperte er zwölf Jahre mit der Marine um die Welt, um im Anschluss daran bis 1984 wissenschaftlicher Nato-Berater zu werden. Nebenbei baute er sich seit 1974 seine Firma als Veranstalter von Kutschenreisen auf. Alpenüberquerungen sind seine Spezialität. Dem stämmigen Mann ist die große Geste auf den Leib geschrieben. Mit seinem Posthorn und seiner Federmütze kündigt er in jedem Ort sein Kommen an.

Mit Tätärä startete auch die Jungfernfahrt der Lausitz-Tour in Bad Muskau mitten im Winter. Eng aneinander geschmiegt sitzen die Reisenden oben auf der Kutsche. Leicht geht es über Dorfstraßen und Schotterwege, vorbei an staunend winkenden Menschen. Eine seltsame Reise in die Innerlichkeit beginnt, denn das rhythmische Trab-trab der Pferde überträgt sich als Wiegeschritt auf die drei Meter über dem Boden schwebenden Reisenden. Zeit darf nun keine Rolle mehr spielen. Im Gegenzug wird die Landschaft vor den Augen zum Geschenk: Leere Felder, winterstarre Wälder, ein Spiel mit Schatten und Licht. Die Straße – ein Band, das endlos weitergeht.

Haben sich die Pferde einmal in Gang gesetzt, zeitigt das Kontemplative schnell Wirkung. Die Sprache der Reisenden wird langsam. Sätze werden begonnen, vom Flügelschlag eines Raben unterbrochen, vom Lauf eines Baches weitergeführt, vom Lachen eines Mitreisenden beendet. Der Blick auf die sich gleichmäßig bewegenden Leiber der vier Schimmel lullt ein. „Ich kann abschalten“, sagt eine englische Journalistin, die in Lodencape und Pelzjägermütze hinter Nemitz sitzt, „es ist wie Meditation.“ Sie ist mit dem Bayern schon über die Alpen gefahren, hat sich zeigen lassen, wie man die Kutsche lenkt. „I adore him“, sagt sie. Ich bete ihn an.

Damit die Fahrt nicht im Ätherischen endet, wurden die Sehenswürdigkeiten und kleinen Wunder der Lausitz in die Route mit aufgenommen. Da ist die 1867 gegründete Glashütte in Döbern, wo heute noch etwa 150 Leute arbeiten. Zu DDR-Zeiten waren es 1.700. Letztes Jahr wurde sie von Siegfried Zabel übernommen. Diesem Investor wird nachgesagt, dass er es ernst meint mit der Rettung des Betriebs. Beim Gang durch die Hütte sind Experimente im Glasblasen inbegriffen.

Weniger anstrengend ist die Besichtigung des winzigen Bohnsdorfer Krämerladens, in dem der Schriftsteller Erwin Strittmatter viele Jahre seines Lebens verbracht hat. Die Liebe zur Lausitzer Landschaft, die man dem Autor nachsagt, wird über dieses kleine Museum und die Gespräche der Menschen, die es erhalten, erst deutlich.

Genüsslicher gestaltet sich der nächste Zwischenstopp in Harnow-Wadelsdorf. Ein kleines Wirtschaftswundermärchen ist dort zu besichtigen. 1991 bereisten Goedele und Peter Bienstman, eigentlich Entwicklungshelfer in Afrika, die Lausitz und waren begeistert. Das belgische Paar überlegte, was man hier machen könne. Die beiden kamen zu dem Schluss, dass in der Lausitz eine Schokolaterie fehle. Extra eigneten sie sich das Know-how in Belgien an und bauten dann in einem Lausitzer Dörfchen die Confiserie Felicitas auf, die durch ihre handwerklich gefertigten Schokoladenfiguren europaweit Furore macht. Mittlerweile sind zehn Frauen in der Produktion angestellt. Weil die Lausitzer den Fremden gerne das Schöne zeigen, halten auch die Touristenbusse vor dem Eldorado der Kakaokunst.

Höhepunkt der Reise ist die Einfahrt in den Branitzer Park. Ganz langsam gehen die Lausitzer Felder und Wälder in die gestaltete Landschaft über. Das Glück, vor dem Schloss ankommen zu dürfen, hebt für eine Sekunde lang den einfachen Alltag.

Zur IBA-Werkschau: siehe taz von heute, Seite 21. Außerdem: www.iba-see.de; Info zur Postkutschenreise: www.coaching-in-bavaria.com; Schokolaterie: www.confiserie-felicitas.de; Lausitzer Glashütte: www.glashuette-doebern.de