: Dem Bösen über die Schulter geschaut
Was war so verführerisch am Nationalsozialismus? Zwei neue Dokumentarfilme wollen dem Phänomen ganz nahe kommen und kommen doch nicht über den distanzlosen Blick hinaus: „Ewige Schönheit“ widmet sich der Nazi-Ästhetik, „Das Goebbels-Experiment“ zeigt den Propagandaminister privat
von DIETMAR KAMMERER
Einundneunzig Minuten Ausschnitte von der Schokoladenseite des Dritten Reiches: lachende Jungmädels in knappen Röckchen, kernige Frontkämpfer mit Stahlhelmblick, wiegende Kornfelder, glückliche Arbeiterfamilien auf KdF-Urlaub – der Kompilationsfilm „Ewige Schönheit“ von Marcel Schwierin, der Bildmaterial aus der Propaganda der NS-Zeit aneinander reiht, will es mal wieder wissen: Was war das Verführerische am Nationalsozialismus? Wie konnte vom Abgründigen solche Faszination ausgehen? Eine Frage, die alle paar Jahre wieder Konjunktur erlebt und auch jetzt zu den diversen Jahrestagen und der aktuellen Konjunktur von Nazizeit-Themen auf der Leinwand nicht fehlen durfte.
Bei Schwierin lautet am Ende die Antwort: „Nichts hätte auf Dauer verdecken können, dass all diese Ideale keine reale Substanz hatten, sondern Scheinwelten blieben.“ Tja, so waren sie, die Nazis: großer Popanz, nichts dahinter? Als ob das ihr Problem gewesen wäre. Walter Benjamins bekannte Einsicht, dass der Faschismus wesentlich auf eine Ästhetisierung des Politischen hinausläuft, geht von nichts anderem aus.
So viel war schon immer klar und wird einem beim Ansehen dieser Bilder wieder überdeutlich vor Augen geführt: die Mittel der blendnerischen Propaganda, die effektvolle Inszenierung der Massen und der auserwählten wenigen, die Fahnenwälder und Fackelspiele, der ganze Theaterdonner waren für die Nazichargen kein bloßer Zusatz zu ihren eigentlichen Absichten und keine Ablenkung vom Terror der Schlägertrupps auf den Straßen, waren weder Verführung noch Täuschung. Wie kaum sonst wo kam der Nationalsozialismus in der Inszenierung der Realität ganz zu sich selbst. Die Gewalt der NS-Herrschaft musste von ihren Bildmaschinen nicht vertuscht werden, sie wurde offen ausgesprochen und verherrlicht, in monumentalen Skulpturen und monströser Architektur.
Klar wird aber auch: „Ewige Schönheit“ lässt sich nur in toten Stein gemeißelt, in Architektur und Bildhauerei, erreichen. Der Film war weder die erste Kunst noch das wichtigste Propagandamittel des Dritten Reiches. Üble antisemitische Hetze wie „Jud Süß“ und „Der ewige Jude“ oder Durchhalteparolen wie „Kolberg“ gegen Kriegsende blieben in der Filmproduktion die Ausnahme, auf der Leinwand zeigten die Nazis lieber Heimatkitsch oder kleinbürgerliches Melodram. Für Joseph Goebbels war der Rundfunk das wichtigste Medium zur Beeinflussung der Bevölkerung.
Dem Reichspropagandaminister widmet sich ein weiterer Filmstart: „Das Goebbels-Experiment“ von Lutz Hachmeister. Der erinnert nicht nur im Titel an „Das Himmler-Projekt“, für den Romuald Karmakar den Schauspieler Manfred Zapatka dreieinhalb Stunden lang eine Rede des Reichsführers-SS wörtlich nachsprechen ließ.
Auch bei Hachmeister kommt nur Goebbels selbst zu Wort und niemand sonst – der Film besteht aus eingesprochenen Tagebuchaufzeichnungen, die von Dokumentarbildern und einigen wenigen neuen Szenen begleitet werden. Aber während Identifikation bei Karmakars spröder wie selbstreflexiver Inszenierung gar nicht erst aufkommen konnte, setzt Hachmeister voll auf den Schock der privaten Begegnung. Eben erst durften wir an der Seite des „Menschen Hitler“ die letzten Stunden eines untergehenden Reiches miterleben, jetzt können wir seinem Zeremonienmeister bei seiner Selbststilisierung in die Karten sehen.
Die Figur, die der Film nachzeichnet, ist ganz Goebbels, der Privatmann: kaum ein Wort zu Politik, Kriegsverlauf oder internen Streitigkeiten, etwa seinem Verhältnis zu seinem Mentor Georg Strasser und dem Kampf zwischen „linkem“ und „rechtem“ Flügel der Nazi-Partei. Stattdessen Goebbels in Venedig, Prag und Paris, auf Urlaub an der Ostsee, auf seinem Gutshof mit Frau und Kindern.
Das „Goebbels-Experiment“ ist das Psychogramm eines Menschen im Zentrum der Macht: Wir bekommen Einblick in seine Larmoyanz und Mutlosigkeit („Alles, was ich beginne, geht schief“), seine Bewunderung für Hitler („diese überragende geistige Persönlichkeit“) und seine unverhohlene Genugtuung darüber, dass einer, der zugibt als kleiner Junge keine Freunde („Kameraden“) gehabt zu haben, es ganz nach oben geschafft hat.
Wozu auf einmal so viel Nähe? Offenbar erfüllen die aktuellen Dokumentationen ein dringendes Bedürfnis nach Unmittelbarkeit: Nazi-Zeit zum Anfassen. „Spannend und neu … Ganz nah an Goebbels!“, freute sich etwa der Stern über die neue Intimität mit dem Postkartenmaler aus Braunau und seinem Gefolge. In der „perfekten Umklammerung des Wirklichen“ (Georg Seeßlen) dem Bösen über die Schulter gucken dürfen, vielleicht mit wohligem Schauder dessen Atemhauch spüren. So verfährt das „Goebbels-Experiment“, so verfährt auch „Ewige Schönheit“ in seiner Präsentierwut von Material: so war es und nicht anders, hier, seht her, habt Teil daran. Allzu deutlich ist dem Film anzumerken, dass er quasi als Nebenprodukt eines Promotionsvorhabens des Regisseurs zur Filmästhetik des Nationalsozialismus entstanden ist: bemüht in Thesen zugespitzt, schulbuchhaft, nichts davon originell oder überraschend, ein bisschen „dämonische Leinwand“, ein bisschen „Von Caligari zu Hitler“. Auch das „Experiment“ kommt durchweg wenig experimentell daher: konventionell in Musikeinsatz, Schnitt, Erzählmethode.
Der distanzlose Blick produziert aber mehr als nur Banalitäten, er steht sich selbst im Weg. Die Bilder und Ansprachen, die damals fanatisierend gewirkt haben mögen, erscheinen heute nur lächerlich, die Gesten der Machthaber hohl. Hitler, wenn er sich in Rage redet: ein schwitzender Mann mit Tränensäcken. Die nackige Leni tanzend am Ufer: nicht graziös, sondern lächerlich. Über Goebbels heißt es in der Presseinfo, man erkenne in ihm einen „modernen News- und Medienmanager, der sich voller Hingabe und Arbeitswut mit dem gesamten Spektrum der öffentlichen Kommunikation befasst“, einer, der seiner Zeit voraus war „und dennoch scheiterte“: das ist – neben einer dummen Verklärung eines Verbrechers zur tragischen Figur –, schlicht übertrieben.
Goebbels Methode war wenig subtil: eine Mischung aus Propaganda, Provokation und Terror, nach dem immergleichen Schema der Stilisierung der Partei und von sich selbst zum Opfer. Kurz: selbstmitleidig. Heutige Propaganda geht da wesentlich geschickter vor. Und faschistische Bildermaschinen, die es bekanntlich immer noch an allen Ecken und Enden gibt, sowieso.