: Sphärenklänge in der Trutzburg
Schön geloopte Bahnhofsprosa und wildes Schnalzen aus dem Hinterhalt: Die Veranstaltungsreihe „WORT MUSIK“ des Literarischen Colloquiums widmet sich Lyrik und Neuer Musik – mal als Verbindung, mal als Spannungsfeld
Ein leichtes Unbehagen stellt sich ein, wenn man die schwere Drehtür passiert – auf dem Weg zur Kunst. Das Allianz-Hochhaus an der Treptower Elsenbrücke ist nicht gerade der Ort, an dem man sie zuerst suchen würde. Innen prallt der Blick an Mauern aus schwarzem Granit ab. Die streng blickende Dame hinter der Trutzburg von Empfangstresen weist gnädig den Weg um die Ecke. Hier wechselt das steinerne Ambiente ins Helle, der Blick öffnet sich hinaus auf die Spree. Hier darf die Kunst zu Gast sein. Das Foyer beherbergt häufig wechselnde Ausstellungen. Doch am Freitagabend sind die Wände kahl, denn nicht das Auge, sondern das Ohr ist gefragt.
„WORT MUSIK“ heißt eine Veranstaltungsreihe, die das Literarische Colloquium Berlin in Zusammenarbeit mit der Kulturstiftung der Allianz konzipiert hat. KünstlerInnen, deren Arbeiten sich irgendwo im weiten Spannungsfeld zwischen Musik und Literatur bewegen, sind eingeladen, Höranstöße zu geben. Die vier an diesem Abend Auftretenden kommen alle aus der Schweiz. Sie könnten verschiedener nicht sein.
Es beginnen der Autor Peter Weber und der Musiker Denis Aebli mit „Bahnhofsprosa“. Webers Texte handeln von Mücken, Fischen, der Sixtinischen Kapelle, von schädlichen „Sprechwinden“, schließlich von einer gefangenen Schleie, die durch einen offenen Fernsehbildschirm aus einer Badewanne entkommt. Rätselhaft, poetisch, dezent absurd das Ganze, vorgetragen in einem lakonischen, rhythmisierten Sprechduktus. Dazwischen macht Aebli verschiedenste Musiken, erzeugt seltsam elegische elektronische Klänge und greift dann in klassischer Manier zur Gitarre, um schließlich bei der Maultrommel zu enden.
Musik ist immer schwer zu beschreiben, am schwersten aber solche, die sich selbst genug ist. Auch diese hier will nichts erzählen, macht dem Wort nicht Konkurrenz. Durchaus monoton, dabei ihren Fluss fein und spannungsreich variierend, schafft sie sich ihre eigene Sphäre. Worte und Töne pflegen bei Weber/Aebli eine Beziehung gegenseitiger Hochachtung. Man wechselt sich ab, hört zu, nimmt den Widerhall des Gehörten in die eigene Lautäußerung auf. So wie im gleichmäßigen Fluss der Musik der monotone Sound der menschlichen Rede anklingt, nähern sich Webers Texte in ihrer Rhythmisierung, in der gezielten Erzeugung von Loops durch Wiederholung von Textblöcken der Musik an. Am Schluss stehen beide Künstler nebeneinander da, vereint im Maultrommelduett. Hinter ihnen spiegelt sich die vorbeifahrende S-Bahn im Fensterglas. S-Bahnhofs-Prosa, schön irgendwie.
Aber es geht auch anders. Als Melinda Nadj Abonji und ihr Partner Jurczok 1001 die Bühne betreten, wird das weite Feld zwischen Wörtern und Tönen zum Kriegsschauplatz, auf dem jederzeit die Fronten gewechselt werden können. Abonji beginnt mit einer Passage aus einer längeren Erzählung, in der es um einen Mann und sein Verhältnis zu Frauen geht. Viel mehr bekommt man nicht mit.
Das muss nicht am Text liegen; aber wirklich beurteilen kann man es nicht, so sehr wird man abgelenkt durch Pfeif- und Schnalzgeräusche, die irgendwo hinter dem Rücken der Autorin entstehen. Dort hat sich ihr baumlanger Partner möglichst unauffällig zusammengekauert, um den Text aus dem Hinterhalt mit Tönen zu untermalen. Es funktioniert nicht, wobei unklar bleibt, ob genau das bewiesen werden sollte oder ob das Experiment einfach missglückt ist. Tonkunst, zumindest diese hier, eignet sich schlecht zur Begleitung von Vorgelesenem; und ein kleines erleichtertes Ausatmen geht durch den Raum, als Jurczok sich zu voller Länge auseinander faltet und das Duo stehend die Bühne in Besitz nimmt.
Abonji entpuppt sich als ausgezeichnete Musikerin und Sängerin, und beide legen ein kraftvolles Programm hin, das vom ungarischen Volkslied bis zum schweizerdeutschen Polit-Rap alles umfasst, was sich mit rhythmischem Schnalzen und Zischen untermalen lässt. Jurczok kann dabei klingen wie eine Dampflok, wie ein klickender Xhosa-Sprecher, der vor Eile die Vokale vergisst, oder – mit slawischem Akzent das Vaterunser intonierend – wie der verstorbene Papst. Das alles hat Witz und Tempo, ist abwechslungsreich und sogar auch politisch. Die Texte haben wir mangels passender Sprachkenntnisse zwar nicht alle verstanden. Aber die Musik war richtig klasse.
KATHARINA GRANZIN
Beim nächsten Termin von WORT MUSIK bedichten Michael Krüger und Wolf Wondratschek das Cello, musikalisch unterstützt vom Cellisten Sonny Thet (11. 5., LCB). Die darauf folgende Veranstaltung steht im Zeichen des Poetry Slam (20. 5., Allianz-Gebäude). Weitere Termine: 23. 5., 3. 6., 21. 6.