Verklärung des Gewöhnlichen

„Martin Munkácsi: Think while you shoot“. Mit einer großen Auftaktausstellung wurde in Hamburg das Haus der Photographie eröffnet. Die Schau erinnert an den einstigen Starfotografen Martin Munkácsi – erst Vorbild Henri Cartier-Bressons, dann rätselhafterweise in Vergessenheit geraten

Es muss seine tiefe Affinität zum Sport gewesen sein, die ihn zu diesen Bildern befähigte

VON BRIGITTE WERNEBURG

Lang und gewichtig ist die Liste der Sponsoren der 3. Triennale der Photographie und der Ausstellung „Martin Munkácsi: Think while you shoot“, mit der die Vollendung des Umbaus der Hamburger Deichtorhallen zum „Haus der Photographie“ gefeiert wird. Das Engagement der Hamburger Verlags- und Medienszene für den neuen Glanzpunkt der Kunstmeile am Eingang zur geplanten Hafencity ist freilich auch nötig. Denn die Mittel für den Betrieb des neuen Ausstellungs-, aber auch Forschungs- und Archivstandorts mit der bedeutenden Fotosammlung von F. C. Gundlach und dem Bildarchiv des Spiegels sind sehr begrenzt.

Die Auftaktausstellung allerdings macht der Neugründung alle Ehre. Sie ist eine fotohistorische Tat, die international Gültigkeit beanspruchen kann. Martin Munkácsi, den heute nur noch wenige Spezialisten kennen, war einmal ein Starfotograf – und zwar nach durchaus heutigen Maßstäben. Sein Name war ein Begriff. Seine Person, sein Lebensstil interessierte Zeitungen und Zeitschriften. In der amerikanischen Unterhaltungsindustrie konnte eine Szene, ein Bild, ein Frauentyp über seinen Namen charakterisiert werden, denn man konnte sichergehen, dass die Leser, Theater- und Kinogänger verstanden, wie eine solche Szene oder eine solche Frau aussah. 1940, als 95 Prozent aller Amerikaner weniger als 4.000 Dollar im Jahr verdienten, kam er auf ein Jahreseinkommen von 100.000 Dollar. Doch wenig später, noch zu seinen Lebzeiten, war der einmal bestbezahlte Fotograf der Welt schon vergessen. Schaut man sich seine Fotografien an, ist es kein Rätsel, warum ihm eine so beispiellose Karriere gelang. Ein Rätsel aber ist es noch immer, wie er so völlig in Vergessenheit geraten konnte.

Der Starfotograf Martin Munkácsi war auch ein Fotograf der Fotografen. Die bündigsten Beschreibungen seines einzigartigen Stils stammen daher von Kollegen. Als Martin Munkácsi 1930 für die Berliner Illustrirte Zeitung nach Liberia reiste, brachte er aus Afrika ein Aufsehen erregendes Bild mit, das als Ikone gelten kann. Es zeigt in der Rückenansicht drei Jungs, die in die Gischt der Wellen des Tanganjikasees springen: „Ich muss es sagen: Es war diese Fotografie, die für mich der Funke war, der das Feuerwerk abbrennen ließ. […] Plötzlich begriff ich, dass es der Fotografie möglich ist, die Ewigkeit zu erreichen – durch den Moment. Es ist die einzige Fotografie, die mich beeinflusst hat. In diesem Bild ist eine solche Intensität, eine solche Lebensfreude, ein solches Wunder, dass ich noch heute von ihm fasziniert bin“, mit diesen Worten bekannte Henri Cartier-Bresson, wie sehr er in der Schuld von Munkácsi stand. Und Richard Avedon schrieb in seinem Nachruf 1963: „Er brachte ein Gefühl von Glück, Ehrlichkeit und Liebe zu den Frauen in einen Bereich, der vor ihm eine freudlose, verlogene Kunst gewesen war. Er war der Erste.“

Martin Munkácsi sah sich zwar „als Mädchen für alles“, wie er 1929 in dem bei Ullstein herausgegebenen Buch über das „Knipsen“ einräumte. Doch er war vor allem ein herausragender Sportfotograf. Seine große amerikanische Karriere, vor allem seine absolut innovative Modefotografie ist ohne diesen Hintergrund undenkbar. Martin Munkácsi wurde 1896 in Kolozsvár (Klausenburg) geboren. Sein Vater, Lipot Memelstein, war Anstreicher und notorischer Trinker. Die schwierigen Familienverhältnisse zwangen Munkácsi schon frühzeitig, sich allein durchzuschlagen, und obwohl er kaum auf eine Schulbildung zurückgreifen konnte, gelang es ihm in den 20er-Jahren, bei Budapester Tageszeitungen und Sportzeitschriften Artikel zu veröffentlichen. Bald steuerte er auch Fotografien bei, die ihn sofort bekannt machten. 1928 zog er nach Berlin, wo er schnell in die Gruppe jener Fotojournalisten vorstieß, deren groß veröffentlichte Namen für die Ullstein-Presse warben. Neben vielen Reportagen und Titelbildern für die Berliner Illustrirte Zeitung publizierte er auch regelmäßig im Magazin Die Dame.

Als er auf einer USA-Reise 1933 Carmel Snow traf, die legendäre Chefredakteurin von Harper’s Bazaar, bot sie ihm sofort einen Vertrag an, den er ein Jahr später akzeptierte. Martin Munkácsi überzeugte Carmel Snow und die Welt der Modefotografie, indem er die Models in Bewegung setzte, Bademoden am Meer fotografierte und Schneiderkostüme in den Straßen von New York aufnahm. In seinen Bildern werden Gebärden, seien sie modischer, seien sie sportlicher Natur, zu einem ästhetischen Erlebnis, das sich tief in die Seele des Betrachters gräbt, wie die Auslassungen von Cartier-Bresson und Avedon belegen. Wie kaum ein Fotograf vor ihm wusste Munkácsi um die Schönheit der Bewegung. Dass sowohl Cartier-Bresson wie Avedon von so heftigen Glücksgefühlen sprechen angesichts seiner Fotografien, von Lebensfreude, Intensität, lässt an Kants Erwägungen zur Ästhetik denken, für den das Schöne „ein Gefühl der Beförderung des Lebens bei sich führt“. Martin Munkácsis Bilder zeigen nicht nur die aufgenommene Szene, sie sprechen darüber hinaus von der Macht der Konzentration, von der Fokussierung aller Sinne auf die Eleganz, die Kraft oder die Präzision einer Geste oder auf die schiere Lust an der Bewegung, wie sie etwa eine Aufnahme der Ski laufenden Leni Riefenstahl zeigt. Der bewegte Körper wird in seinen Bildern zur signifikanten Form ohne jede Alternative. Und damit gelingt Munkácsi die Verklärung des Gewöhnlichen, denn der Körper und seine Gebärden, die Munkácsi interessierten, waren – jedenfalls im Feld der Mode – vergleichsweise alltägliche Körper und Gebärden. Dieses alltägliche Moment, weit weg vom artifiziellen Setting des Studios, gab seinen Modeaufnahmen denn auch jene Frische und Modernität, die dann Sensation machte.

Es muss seine tiefe Affinität zum Sport, in seinem Fall besonders zum Fußball, gewesen sein, die ihn zu diesen Bildern befähigte. Weshalb konnte er ernsthaft davon sprechen, dass es zu überlegen gilt, während man auslöst? Wie die Sportler selbst, die er beobachtete, muss er im entscheidenden Moment einen Zustand äußerster Wachheit und Spannung erreicht haben, in dem sich für ihn das Geschehen um ihn herum so verlangsamte, dass er die Lücken in den Bewegungsabläufen vollkommen klar sah, dass er tatsächlich überlegen konnte, wann genau er den Auslöser der Kamera drücken musste, um die Szene im richtigen Augenblick auf die Platte zu bannen. Denn das Unglaubliche an seinen Bildern ist die Tatsache, dass er sie samt und sonders mit der schweren einäugigen 9-mal-12-Zentimeter-Spiegelreflexkamera aufnahm. Und da er seine Abzüge stets im Format von 24 x 30 Zentimetern ablieferte, glänzt nun die herausragende Ausstellung im Hamburger „Haus der Photographie“ mit wundervollen großzügigen Vintageprints.

Mehr als 300 Abzüge aus allen Schaffensperioden konnten F. C. Gundlach und seine Mitstreiter Enno Kaufhold und Klaus Honnef zusammentragen, eine enorme Leistung, da Munkácsis Archiv nach seinem Tod verloren ging. Er starb am 14. Juli 1963 nach einem Herzinfarkt, den er während des Besuch eines Fußballspiels erlitt.

Bis 24. Juli, Katalog (Steidl Verlag) 65 €