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Archiv-Artikel

EIN NON ZUR EU-VERFASSUNG IN FRANREICH IST KEIN GRUND ZUR PANIK Eine historische Debatte

Sechs Wochen vor dem Referendum über die EU-Verfassung ist offen, ob die FranzösInnen tatsächlich mit „Non“ stimmen werden. Die große Koalition der BefürworterInnen – die von der Spitze der Sozialdemokratie über die meisten Gewerkschaften, Unternehmerverbände und Medien bis zu den rechten Parteien reicht – beginnt gerade erst mit ihrer Kampagne für ein „Oui“ zur EU-Verfassung.

Anderes hingegen lässt sich schon jetzt festhalten: Die FranzösInnen haben die EU-Geschichte revolutioniert. Wider jede Erwartung hat der schwer verständliche und widersprüchliche Text der EU-Verfassung in Frankreich eine breite Debatte ausgelöst. Menschen aus den verschiedensten Schichten lesen ihn und führen die erste populäre Grundsatzdebatte über Inhalte und Ziele der EU.

Die zweite gute Nachricht aus Frankreich lautet, dass dort endlich nicht mehr die ChauvinistInnen und NationalistInnen das europäische Terrain beherrschen, sondern dass prinzipielle BefürworterInnen der europäischen Einigung das Thema übernommen haben. Gegenwärtig bestimmen mehrheitlich Linke den Ton. Sie sind für die EU, aber gegen ein konkretes Projekt der EU. Auch diese differenzierte Debatte ist ein Novum.

Das dritte große Ereignis in Frankreich sind die Fragen, die gestellt werden. Von: „Wollen wir eine EU-Verfassung, in der sich die Mitgliedstaaten verpflichten, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern, die jedoch nichts Konkretes über eine Anhebung der sozialen Lage sagt?“ über: „Wollen wir eine Verfassung, die den gegenwärtig vorherrschenden wirtschaftsliberalen Mainstream zu einem Dogma macht?“

Angesichts dieser Lage gibt es keinen Anlass zu Panik. Im Gegenteil: Was jetzt in Frankreich passiert, zeigt, dass die Abkehr vom Politischen nicht definitiv sein muss. Anstatt auf die FranzösInnen einzudreschen, täten wir in Deutschland gut daran, selber die EU-Verfassung zu lesen und unsere Abgeordneten zur Rede zu stellen, bevor sie Mitte Mai darüber entscheiden. DOROTHEA HAHN

Am 16. 4. ist auf S. 1 ein Kommentar unter dem Namen der Autorin erschienen. Verfasst wurde er von D. Weingärtner