: Die Volks-Wurst
RESTERAMPE Die Blutwurst verkörpert das Prinzip Vollverwertung. Schon bei Homer wird sie gebraten
Manchen gilt sie als die Rumkugel der Würste, weil ähnlich großzügig aus Abfällen zusammengefegt wie die klebrige Teigkugel beim Bäcker: die Blutwurst, eine fleischige Resterampe aus Schlachtabschnitten, ertränkt im Blut eines toten Schweins. Ein Arme-Leute-Essen, das es von den Schlachtfeldern der Antike bis hinauf in die Gourmetrestaurants geschafft hat. Zurzeit erfreut sie sich wieder verstärkten Interesses.
Es ist ein wenig wie mit dem Herrgott hoch oben im Himmel. Er hat so viele Namen und ist doch immer derselbe. Die Blutwurst teilt ein ähnliches Schicksal. In Frankreich elegant als „Boudin“ bekannt, wird sie in England als „Black Pudding“ traditionell zum Frühstück ausgegeben. In Argentinien gilt sie unter dem wohlklingenden Namen „Morcilla“ als Grundnahrungsmittel. Auf den Philippinen wird die „Dinguan“ oder wegen ihrer dunklen Grundfarbe auch liebevoll „Schokoladen-Fleisch“ genannt. Bei der Blutwurst ist die Namensvielfalt so kreativ wie ihre Varianten und die Gewürze, die ihr von den Menschen in den unterschiedlichen Klimazonen beigemischt werden. Eines aber haben alle diese Formen gemeinsam. Sie sind das Ergebnis einer zutiefst menschlichen Grundhaltung: der Vollverwertung.
Noch vor Jahrzehnten war Fleisch kein alltägliches Nahrungsmittel. Wurde ein Schwein geschlachtet, war das ein Festtag, an dem es reichlich und gut zu essen gab, aber ebenso viel Arbeit anfiel. Die verderblichen Teile wie die Innereinen und das proteinreiche Blut mussten schnell verwertet werden.
Die klassische Blutwurst, wie sie der preisgekrönte Berliner Markus Benser herstellt, ist daher mehr bodenständige Metzgerei als geheimnisvolle Kochkunst: magere Kammspitzen, kerniges Rückenfett, ein paar Schrippen, Zwiebeln und Gewürze wie Thüringer Majoran, Pfeffer, Nelken, etwas Zimt. Ab in einen Darm und kochen, bis das Blut stockt. Das ist alles.
Die Blutwurst ist in ihrer Produktion so schlicht und anspruchslos, dass sie vielleicht sogar die älteste Wurstsorte überhaupt ist. Erste Spuren finden sich in der griechischen Antike. Im 18. Gesang von Homers „Odyssee“ stolpert man über folgende Zeilen: „Hier sind Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefüllet / Die wir zum Abendschmaus auf glühende Kohlen geleget. / Wer nun am tapfersten kämpft, und seinen Gegner besieget; / Dieser wähle sich selbst die beste der bratenden Würste.“
Viele Familien haben wegen der EU-Gesundheitsrichtlinien 2009 das Selbstschlachten aufgeben müssen. Zu hoch waren die bis zu 15.000 Euro teuren Investitionen in Hygienemaßnahmen. Dafür taucht die Blutwurst vermehrt in den Auslagen von Lebensmittel-Discountern auf und geht bei Gourmet-Restaurants weg wie „geschnitten Brot“. Sie scheint Teil eines Trends zu sein, zu Regionalität und Nachhaltigkeit, entsprungen aus der Sehnsucht nach Glaubwürdigkeit und Authentizität.
Was liegt näher als zu etwas so bodenständigem zu greifen wie der Blutwurst. Schon der größte Künstler des 20. Jahrhunderts, Pablo Picasso, hat sich dieser Spezialität nicht zu entziehen vermocht: 1941 in Paris malte er, von den Entbehrungen des Krieges veranlasst, ein: „Stilleben mit Blutwurst“. E. F. KAEDING