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Archiv-Artikel

Buddeln in der Zeit

GRABUNG Archäologen finden in einer Baugrube Reste einer friesischen Siedlung aus dem 9. Jahrhundert. In wenigen Tagen wird darüber das Fundament eines Hotels gegossen

VON FELIX ZIMMERMANN

Es ist der letzte Blick in Bremens frühe Geschichte; ein gehetzter Blick, denn es muss schnell gehen. Nur wenige Tage bleiben, dann wird die Luke in die Vergangenheit geschlossen, überdeckt von dickem Beton, der soundsovielten bebauten Schicht an einer Stelle in der Innenstadt, an der schon in karolingischer Zeit – um das Jahr 800 – gelebt und gearbeitet wurde.

Während drum herum am Bredenplatz auf der Rückseite der Böttcherstraße das Hotel Atlantic emporwächst und Baumaschinen kreischen, wird in der hintersten Ecke der Baustelle mit feinem Gerät noch gebuddelt.

Die Landesarchäologie Bremen hat einen Grabungstrupp geschickt, um zu retten, was zu retten ist, bevor die Baustelle sich auch dieses Eckchens bemächtigen wird. Archäologen nennen so etwas Notgrabung: Die Zeit, die sie einem Bauherrn abringen, um wenigstens etwas Muße zu haben. Und sie sind fündig geworden: Was den für die Stadtarchäologie zuständigen Landesarchäologen Dieter Bischop am meisten überraschte: In acht Metern Tiefe fanden sie die Überreste einer Ufersiedlung, mit Tonscherben, die als Leitfossil für den Stamm der Friesen gelten. Schon früh hatten die sich auf den Fernhandel spezialisiert, fuhren im 9. und 10. Jahrhundert zur See und über die Flüsse tief ins Land und verkauften Tuchwaren, Schmuck und Mahlsteine. Die Stelle am heutigen Bredenplatz eignete sich gut als Niederlassung – dort konnte die Balge überquert und die Weser erreicht werden. Ein Eichenstamm fand sich, der auf das Jahr 829 datiert werden konnte, Menschen- und Tierknochen. „In Bremen wurde also schon lange vor der Hansezeit Handel getrieben“, sagt Bischop. Er findet das „spektakulär“, wenn auch die Geschichte nicht umgeschrieben werden müsse, wie die Reporterin eines Radiosenders vermutet. Bislang war die Existenz von Friesen im frühen Bremen nur vermutet worden: Vor 20 Jahren hatte man 50 Meter vom Bredenplatz entfernt ein Flussschiff gefunden, wie es auch diese frühen Händler benutzten. Jetzt weiß man, dass es kurz vor einer friesischen Siedlung lag.

In den Schichten darüber fanden sich Zeugnisse anderer, jüngerer Zeiten: Reste eines steinernen Wohnhauses aus dem 12. Jahrhundert, ein aus dem 14. Jahrhundert stammendes Pilgerzeichen aus Wilsenack bei Brandenburg, das ein frommer Bremer von einer Reise zu den dortigen Wunderhostien mitgebracht hatte, ein Würfelchen und ein Einweckglas mit verschrumpelten Früchten, halb verschmort hat es die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs überstanden.

Bischop will mit den Bauleuten reden, um noch etwas Zeit herauszuschlagen. Ob er sie bekommen wird? Ein Bauarbeiter winkt ab: „Das ist alles Unsinn. Wir müssen weitermachen, sonst haben wir den Ärger.“ Die Zeit drängt.