: Aufbau Afghanistan – mit Drogendealern
Innensenator Udo Nagel kündigt in Kabul Abschiebungen an, das Hamburger Flüchtlingsnetzwerk Afghanistan Info kam jetzt aus dem zerstörten Land zurück. Anders als der Senator zeichnet es ein Bild aus Angst, Korruption und Hoffnungslosigkeit
von Eva Weikert
Eine Nachricht aus Kabul hat die in Hamburg lebenden Afghanen in Schrecken versetzt: Am Mittwoch hatte Innensenator Udo Nagel (parteilos), der zurzeit Afghanistan besucht, „positive Eindrücke“ von dort berichtet und grünes Licht für den Start von Abschiebungen gegeben. „Die Stimmung in der afghanischen Gemeinde ist schrecklich“, sagte Rafiq Shirdel vom Hamburger Netzwerk „Afghanistan Info“ gestern zur taz. Die anstehenden Massenabschiebungen verbreiteten „große Angst“, so Shirdel, der selbst vor zwei Wochen von einer Informationsreise aus Kabul zurückgekehrt ist. Anders als Nagel warnt er: „Da ist nichts.“
Shirdel zeichnet ein ganz anderes Bild von Afghanistan als der Senator, der Sonntag abgeflogen war. Nach Treffen mit Regierungsvertretern und Hilfsorganisationen sowie einem Schul- und einem Flüchtlingslagerbesuch habe sich Nagels guter Eindruck verfestigt, meldete dessen Pressestelle gestern. Wenn der Abschiebestopp am 30. April endet, werde mit „Rückführungen“ begonnen. Betroffen sind alle ohne sicheren Aufenthalt: rund ein Drittel der 15.000 in Hamburg lebenden Afghanen.
„Für die Menschen gibt es dort aber keinerlei Hoffnung“, berichtete Shirdel, der Mitte März zu einem dreiwöchigen Besuch in sein Heimatland aufgebrochen war. Hunger, Wohnraumnot, Mangel an medizinischer Versorgung, Massenarbeitslosigkeit und Gewalt prägten den Alltag in dem von 30 Jahren Krieg zerstörten Land, in das zu reisen auch das Auswärtige Amt „dringend“ abrät. Gleichwohl will der Senat ab Mai zunächst 500 alleinstehende Männer abschieben.
„Wenn Nagel, begleitet von vier Bodyguards, sich Kabul anguckt, kann man das mit der Situation, in die die Abgeschobenen kommen, nicht vergleichen“, rügte auch GALierin Antje Möller. Sie sorgt sich vor allem um die 18-Jährigen, die hier aufgewachsen sind und wegen ihres Alters als alleinstehend gelten. In Afghanistan herrsche massiver Mangel an Arbeitsplätzen und Ausbildungsmöglichkeiten, so Möller. Nagels Behörde „reißt jetzt viele Menschen aus Schule und Ausbildung und schickt sie in eine Situation, wo keine Infrastruktur sie auffängt“.
Wie Nagel berichtete auch Shirdel von „vollen Geschäften“ in Kabul. Die meisten Menschen hätten jedoch gar kein Geld, um die Produkte zu kaufen und litten Hunger. Auch die medizinische Versorgung sei „lückenhaft“ und zumeist nur gegen Bares erhältlich. Zugleich beherrsche Korruption den Alltag: „Ohne Bestechung kannst du in Afghanistan nicht mal atmen“, so Shirdel.
Außer von der Armut seien die Menschen von der Angst vor Überfällen und Entführungen geprägt, „die dort ganz normal sind“, sagte Shirdel. Weil er sich „sehr unsicher“ fühlte, sei auch er tagsüber nur im Schutz zweier Leibwächter ausgegangen und wie alle Bewohner Kabuls nach der Abenddämmerung zu Hause geblieben.
Zur Furcht vor Übergriffen komme hinzu, dass es „keine staatliche Aufbauarbeit gibt“, warnte Shirdel. Nur wer privat Geld habe, der baue – „außer Warlords und Drogenverkäufern kann sich das keiner leisten“. Kabul sei mit Flüchtlingen überlastet und Wohnraum wegen des Mangels an Unterkünften „unbezahlbar“. Viele Menschen seien obdachlos. „Ich habe Schüler gesehen, die draußen unterrichtet wurden“, so der 48-Jährige. Im Flüchtlingslager hätten die Bewohner in Zelten aus Folien gehaust. Sanitäre Anlagen gebe es „natürlich nicht“.
Weil ganz Kabul über keine funktionierende Kanalisation verfügt, hatte er sich für seinen Besuch Chemieklos aus Hamburg mitgebracht.