: „Die Party ist eine „sehr kultivierte Form „der Entgrenzung“
VOLLGAS „De:Bug“, das „Magazin für elektronische Lebensaspekte“, lädt zur großen Sause ins Berghain. Anlass, die beiden „De:Bug“-Redakteure Anton Waldt und Ji-Hun Kim zum aktuellen Stand der Digitalisierung, zu ihrer kritischen Distanz gegenüber elektronischen Waren und zur Blattentwicklung zu befragen
■ De:Bug, das „Magazin für elektronische Lebensaspekte“, erscheint seit 1997 in Berlin. Gegründet von ehemaligen Redakteuren und Mitarbeitern der pleitegegangenen Raver-Postille Frontpage, wollte De:Bug das Spannungsfeld der elektronischen Popmusik von einer unkommerziellen, aber ästhetisch und theoretisch anspruchsvollen Seite beleuchten.
■ Zunächst auf Zeitungspapier gedruckt, lag das Magazin gratis in Plattenläden aus, bis um die Jahrtausendwende der Schritt an die Kioske erfolgte. Inzwischen arbeiten fünf Redakteure, zwei Mitarbeiter im Marketing und ein Geschäftsführer an den zehnmal im Jahr erscheinenden Ausgaben.
■ Heute Abend treten im Berghain unter dem Motto „De:Bug Machine“ ab 23 Uhr unter anderem der Detroiter Technoproduzent Carl Craig und Speedy J aus Rotterdam auf. Neben den De:Bug-Redakteuren Bleed und Ji-Hun Kim legt auch der Berliner Efdemin als DJ auf. JW
INTERVIEW JULIAN WEBER
taz: Herr Waldt, Herr Kim, was wird heute eigentlich gefeiert?
Waldt: Einmal im Jahr schmeißen wir eine große De:Bug-Party, weil Raven zu unserem Themenspektrum gehört und wir praxisorientiert sind.
Hat die Party noch eine Bedeutung?
Waldt: Die Party ist eine sehr kultivierte Form der Entgrenzung, da geht es an die Leistungsgrenzen des Hedonismus. Eigentlich ist das seit 20 Jahren unverändert.
Kann man noch härter feiern als in den Neunzigern?
Waldt: Damals war Raven noch neu, und man wollte es als kulturellen Fortschritt betrachten. Das hat sich inzwischen gegeben. Gleichzeitig haben Diskurse auf das, was beim Feiern tatsächlich passiert, erfrischend wenig Einfluss. Bis heute ist es eine Undergroundkultur, bei der die Majors kaum eine Rolle spielen. Die wichtigen Label sind unabhängig. Die Feierkultur ist offensichtlich gegenüber medialen Hypes renitent.
Ist euphorisches Feiern nicht altersabhängig?
Kim: Nein, Clubkultur ist in gewisser Hinsicht erwachsen geworden. Viele andere Kulturbereiche wie Kunst, Mode und Design docken inzwischen an elektronische Musik an. Die Verbindung zwischen Restaurants und Clubs – früher unvorstellbar – hat ambitionierte Projekte hervorgebracht. Das macht das Erwachsenwerden und die Relevanz der Clubkultur auch aus, dass es keine Vorurteile mehr geben muss.
De:Bug hat eine ähnliche Entwicklung vom schwer zu lesenden Großformat zum Hochglanzmagazin durchlaufen.
Waldt: Wir haben uns der klassischen Magazinform angenähert. Euphorisch sind wir nach wie vor, aber die Hysterie hat sich etwas gelegt.
Lesen Party-People überhaupt Ihre netzkritischen Texte?
Waldt: Wahrscheinlich nicht, aber wenn sie reinblättern, weil sie das Techno-Thema davor interessiert, ist das doch toll. Wir beschäftigen uns mit den Auswirkungen der Digitalisierung, die immer noch anhält und unser Leben immer weiter durchdringt. Direkt hörbar ist das in der repetitiven elektronischen Musik.
De:Bug heißt im Untertitel „Magazin für elektronische Lebensaspekte“. Was sind angenehme und was sind unangenehme „elektronische Lebensaspekte“?
Waldt: Als Technikoptimisten glauben wir daran, dass Fortschritt guttut. Denn das Erfolgsrezept für Glück und Wohlstand lautet doch Kooperation, Hedonismus und technischer Fortschritt.
Warum hantiert man im Kontext von elektronischer Musik noch immer mit Begriffen des Futurismus?
Kim: Das ist eher ein Rezeptionsproblem. Was Zukunft ist, ist eigentlich unsere Gegenwart, da anscheinend in den letzten Jahrhunderten unsere Kultur sich so formiert hat, dass es Mechanismen gibt, die wir erst langsam verstehen. Selbst für gebildete Schichten sind die Hintergründe, die in der Elektronik und Digitalisierung stecken, schwer zu durchschauen. Deshalb sind Programmierer und Firmen wie Google mittlerweile sehr mächtig, ohne dass wir wissen, wie ihre Maschinen genau funktionieren. Niemand setzt sich mit Algorhythmen auseinander. Das hat etwas sehr Futuristisches und löst gewisse kulturelle Ressentiments aus.
Waldt: Die Begriffsebene des Futurismus ist eine Sache der 90er. Der klassische Detroit-Techno-Diskurs …
… der bei Ihnen Blaupause ist.
Waldt: Wir haben uns an diese Zukunft gewöhnt und glauben, dass sie gar nicht so beängstigend und schlimm sein wird.
De:Bug betreibt Warenkunde, testet Gadgets und Instrumente. Wie unterscheidet sich das von Automagazinen?
Waldt: Wir interessieren uns dafür, was Technik mit uns macht, auch auf theoretischer Ebene.
Sie klären etwa über die Hintergründe der explosionsartigen Vermehrung von Sportwetten im Internet auf. Lassen sich elektronische Geräte ähnlich kritisch besprechen?
Waldt: Die Freiheit zu sagen, wenn etwas Blödsinn ist, nehmen wir uns schon noch.
Kim: Klassische Technikmagazine nehmen die Geräte auseinander, vergleichen die Laufzeit der Akkus, die Kontrastbereiche eines Bildschirms, die Verarbeitung … das ist Empirie, genau darüber wollen wir aber hinaus. Es geht doch darum, ob ein bestimmtes Gerät unser Leben sinnvoll erweitern kann.
Kann man Produkte der Warenwelt kritisch reflektieren?
ANTON WALDT
Waldt: Am Ende des Tages nehmen wir die Warenwelt nicht so ernst. Das Internetprotokoll ist wichtig, darin wird eine Kommunikationsstruktur definiert, die weltweite Auswirkungen hat. Aber genau diese Wichtigkeit vermisst das einzelne Produkt. Die Produktklasse Handy führt zu sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen, aber das einzelne Handy ist im Zweifelsfall ein weiteres Produkt. Es kann sexy aussehen oder eine schlechte Menüführung haben, aber es wird nie weltbewegend sein.
In welcher Ecke von Popkultur verortet sich De:Bug heute im Unterschied zu seinen Anfängen?
Waldt: Es geht um digitale Technik und als kultureller Ausdruck dessen, um elektronische Tanzmusik. Diese beiden Grundannahmen aus den Anfangstagen der De:Bug sind immer noch stimmig. Elektronische Tanzmusik hört sich inzwischen aber anders an, denn die Digitalisierung ist weiter fortgeschritten. Daher hat sich unser musikalisches Spektrum auch erweitert. Auch Pop ist von diesem Produktionsprozess stark durchdrungen. Das können wir nicht ignorieren und deshalb sind wir auch nicht mehr so strikt bei der Auswahl der Künstler.
Was hat es mit dem Begriff „Selbstbeherrschung“ auf sich, den sich De:Bug auf die Fahnen geschrieben hat?
Kim: Es geht uns um digitale Ortung. Wir versuchen, aus dem Wust an Informationen relevante Themen herauszuziehen und einen Zusammenhang herzustellen. Unsere Analyse ist nicht rein technisch, auch nicht rein akademisch, sondern sie transferiert Technik auf eine ästhetische Ebene und schaut, ob sie eher feuilletonistisch oder eher popmäßig verhandelt werden kann. Mag sein, dass das Wort Selbstbeherrschung in diesem Kontext zu protestantisch klingt.
Wie stellen Sie zu Ihrer Zielgruppe Nähe her?
Waldt: Niemand arbeitet ausschließlich für De:Bug. Eigentlich haben wir alle noch diverse Nebentätigkeiten, ob das jetzt Musikmachen, Plattenauflegen, oder Labelbetreiben ist. Wir sehen uns als Prosumer-Magazin, weil die Digitalisierung auf vielen Gebieten die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten verwischt. Das betrifft uns genauso wie das Gros unserer Leser.
Ist Ihre Party heute Nacht politisch im Sinne einer Demonstration?
Kim: Was wir feiern, ist apolitisch.
Waldt: Apolitisch klingt auch schon wieder zu politisch. Feiern bekam in den 90ern einen libertären Anstrich. Techno funktioniert aber anders als Rock oder Punk. Diese Jugendkulturen wollten letztendlich einer als unangenehm empfundenen Wirklichkeit entfliehen. Beim Raven bleiben Club und Alltag jedoch Teil der gleichen Realität. Das muss kein Bruch sein. Aber es ist ein gravierender Unterschied zu den anderen Musikkulturen.