: Von den Sorgen der Molly Bloom
BÜHNE Elisabeth Degen zeigt als „Penelope“, dass sich seit den Zeiten von James Joyce vieles gar nicht sehr verändert hat. Und macht Lust, sich den „Ulysses“ noch mal vorzunehmen
VON ANDREAS SCHNELL
Neben den Inszenierungen mit dem gesamten Ensemble bietet das Theaterlabor seinen Teilnehmern und Teilnehmerinnen auch die Gelegenheit, sich mit kleineren Produktionen zu profilieren. In der letzten Spielzeit gab es beispielsweise, noch in der Concordia, eine durchaus sehenswerte, minimalistische Inszenierung von Heiner Müllers „Quartett“ zu sehen, jetzt zeigt Elisabeth Degen in der Regie von Kathrin Steinweg das 18. Kapitel des Romans „Ulysses“ von James Joyce in der Alten Stauerei.
Der Abend heißt „Penelope“, und das kommt so: Im letzten Kapitel des Werks lernen wir die Frau des Protagonisten kennen, der im wirklichen Romanleben Leopold Bloom heißt und auch kein Held, sondern Anzeigenakquisiteur bei einer Tageszeitung ist. Dass er der Titelheld des „Ulysses“ ist, verdankt sich seinen Irrfahrten durch Dublin. Ulysses ist nämlich die englische Entsprechung für Odysseus. Dessen treu zu Hause wartende Frau ist bekanntlich Penelope, hier bürgerlich und nicht ganz so treu: Molly Bloom.
„Ulysses“ erschien vor nunmehr 90 Jahren und beschreibt einen einzigen Tag im Leben eines Menschen, mit allen Gedanken, die ihm dabei durch den Kopf gehen. Am Ende jenes Tages, genauer gesagt: eigentlich schon am Morgen des nächsten, kommt er schließlich nach Haus zu seiner Penelope. Das 18. und letzte Kapitel des Romans beschreibt ihre Gedanken in dem gleichen assoziativen „Stream of conscousness“, in dem Joyce auch die Odyssee seines Helden beschreibt.
Am vergangenen Freitag hatte Elisabeth Degens Ein-Personen-Stück in der Alten Stauerei Premiere. Mit einfachen Mitteln und wenigen Effekten erzeugt Steinweg eine Atmosphäre zwischen Nacht und Morgen, die die schlaftrunkenen Gedanken Molly Blooms rahmt. Der Monolog macht nicht nur schnell klar, warum der „Ulysses“ seinerzeit einen Skandal auslöste und sogar zuerst verboten wurde. Derb geht es da oft zu, als obszön wurden viele Passagen empfunden. Polly redet, denkt eben, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Was Joyces Sprache erstaunlich modern wirken lässt, natürlich nicht nur wegen ihrer sexuellen Offenherzigkeit.
Auch die Sorgen und Nöte der Molly Bloom wirken ganz zeitgemäß. Wenn sie über ihr Liebesleben sinniert, ihr Eheglück und Eheleid als Betrogene und Betrügende reflektiert, dann könnte sie ebensogut eine Anfangdreißigerin von heute sein, die ihre eigene Attraktivität zum Maß aller Dinge macht, um im Wettbewerb ums Glück zu bestehen, das sich seinerseits nicht zuletzt als ökonomisch bestimmt erweist. Was dann wohl doch heute noch ein bisschen anders ist als zu Joyces Zeiten, wo zumal der bürgerlichen Frau als Lebensunterhalt vor allem die Ehe als Option offenstand. Und da galt es, sich möglichst gut zu verkaufen. Molly Bloom hat dieses Verhältnis psychologisch verinnerlicht. Und ist insofern durchaus noch auf der Höhe der Zeit.
Elisabeth Degen, Tochter des Schauspielers Michael Degen, zeigt Molly Bloom facettenreich zwischen Femme-Fatale-Ambitionen und ehelicher Frustration, zwischen mädchenhafter Koketterie und sehnsuchtsvollerTrauer, um sich am Ende in ihr Schicksal zu fügen. Die Koffer, die sie am Anfang des Abends schon gepackt hatte, bleiben doch im bescheidenen Heim stehen. Für sie gibt es leider nur das kleine Glück statt eines großen. Wir Zuschauer aber haben durchaus etwas gelernt. Und Lust bekommen, doch noch einmal den fast 1.000 Seiten dicken Schinken in die Hand zu nehmen.
■ weitere Vorstellungen: Donnerstag (heute), Donnerstag, 23. 2. und Donnerstag, 15. 3., 19.30 Uhr, Alte Stauerei