: Aufarbeitung? Offensive!
Die Türkei will sich den Völkermord an den Armeniern nicht vorhalten lassen: „Wir müssen uns für nichts schämen“
AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH
Es war in der letzten Woche, als der größte Teil der türkischen Presse jubelte: „Endlich gehen wir in die Offensive.“ In seltener Einigkeit hatten Regierung und Opposition in Ankara da beschlossen, gegen die weltweit immer lauter werdende Forderung nach Anerkennung des Völkermordes an der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches ihrerseits nun offensiv zu kontern.
Das türkische Parlament traf sich zu einer Plenardebatte über die armenische Frage, in der die Vorwürfe in Bausch und Bogen zurückgewiesen wurden und Außenminister Abdullah Gül insbesondere die Verbündeten beschwor, die Charakterisierung der damaligen Vorfälle als Völkermord zu unterlassen, „um nicht Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit gegenüber dem türkischen Volk aufkommen zu lassen“.
Ausdrücklich ging Gül in der Parlamentsdebatte auf den heute im Bundestag zu Diskussion stehenden Antrag der CDU/CSU ein. Darin wird die Türkei aufgefordert, sich zu ihrer Schuld gegenüber den Armeniern zu bekennen. Dass nach Frankreich, Russland und dem Europäischen Parlament nun auch noch der engste EU-Verbündete die Türkei an den Pranger stellen könnte, löste in Ankara Gefühle von Wut bis Panik aus. Der deutsche Botschafter Wolf-Ruthart Born wurde ins Außenministerium einbestellt, um ihm die Besorgnis der türkischen Seite mitzuteilen.
Dabei ist die politische Elite der Türkei und mit ihr der überwiegende Teil der Bevölkerung tatsächlich davon überzeugt, dass ihnen schweres Unrecht zugefügt wird. Zum Ende der Debatte im Parlament verabschiedeten sie eine Entschließung, in der die armenische Regierung und das dortige Parlament aufgefordert werden, der Bildung einer Historikerkommission zuzustimmen, die zu gleichen Teilen türkisch und armenisch besetzt sein und ungehinderten Zugang zu allen Archiven in der Türkei und Armenien haben soll. Ministerpräsident Tayyip Erdogan erklärte: „Wir haben in unserer Geschichte nichts zu verbergen, und es gibt nichts, dessen wir uns schämen müssten.“
Sämtliche Abgeordnete unterzeichneten außerdem einen Brief, in dem mehrere Parlamente befreundeter Staaten aufgefordert werden, die Beschuldigungen der Türkei entweder zurückzunehmen oder eben künftig zu unterlassen.
Wie sehr die türkischen Gesprächspartner von ihrer Position überzeugt sind, musste auch der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages, der CDU-Abgeordnete Jürgen Gehb bei einem Besuch in der Türkei vor zehn Tagen erfahren. „Ich bin natürlich auf den Unionsantrag immer angesprochen worden“, sagte er der taz. „Jeder Gesprächspartner hat mir erklärt, dass wir völlig falsch liegen.“
Auf Parteiebene hatte es zwischen CDU und der türkischen Regierungspartei AKP schon zuvor Gespräche über den Antrag gegeben. Die deutsche Seite versuchte, den türkischen Partnern deutlich zu machen, dass der Antrag „kein Angriff auf die Türkei sein soll“. „Wir sind ja nicht an der Regierung“, sagte der Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ankara, Frank Spengler, zur taz, „aber es wäre doch denkbar, dass die Bundesregierung der Türkei eine gemeinsame Historikerkommission anbietet, da es ja auch in Deutschland eine Menge zu dem Thema aufzuarbeiten gibt.“
Da Armenien die Aufforderung aus Ankara längst abgelehnt hat, weil es seiner Meinung nach nichts mehr zu erforschen gibt, wäre eine deutsch-türkische Kommission vielleicht eine Möglichkeit, einen Schritt weiterzukommen. „Ich halte das für eine gute Idee“, sagte der AKP-Vizechef Murat Mercan der taz, „wir haben nichts zu verbergen.“