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Archiv-Artikel

„Er ist Deutscher!“ Amerikanischer Albtraum

AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK

Die Wahl Joseph Ratzingers zum neuen Papst hat in den USA unter den 65 Millionen Katholiken ein geteiltes Echo hervorgerufen.

Ein Großteil der amerikanischen Katholiken pflegt ohnehin eine auffällige Distanz zum Vatikan – eine Grundeinstellung vieler Amerikaner, die es nun einmal nicht mögen, wenn sich Institutionen wie der Staat oder die Kirche in ihr Privatleben einmischen.

Viele, darunter vor allem Einwanderer aus Lateinamerika, lehnen die strengen Glaubensvorschriften ab und nehmen vergleichsweise moderate Positionen ein, zum Beispiel in Fragen der Geburtenkontrolle. Sie unterstützen zudem die Priesterweihe für Frauen, wollen das Zölibat lockern, um den Priestermangel zu beheben, und fordern einen stärkeren Einfluss der Laienkirche.

Diese Reformationswünsche wurden durch die Skandale um pädophile Priester noch verstärkt, die den Glauben vieler Christen in die römische Amtskirche tief erschütterten. Viele werfen ihr Vertuschung vor und vermissten eine konsequentere Reaktion aus dem Vatikan, um sexuellen Missbrauch von Priestern in Zukunft besser vermeiden zu helfen.

Dennoch zeigten sich vor allem konservative Christen – Protestanten und Katholiken gleichermaßen – hoch erfreut. Für sie ist Ratzinger ein Kirchenfürst mit klarem moralischem Kompass. Liberalere Katholiken hingegen waren enttäuscht, zum Teil schockiert und sehen die Wahl als verlorene Chance, eine doktrinäre und orthodoxe Kirche zu modernisieren. Missmutig erinnern sie sich an Ratzinger, der sich in den US-Wahlkampf 2004 einschaltete und Bischöfe in den USA aufforderte, dem Katholik John Kerry die Kommunion zu verweigern, da dieser das Recht der Frauen auf Abtreibung unterstützt. „Ihre schlimmsten Albträume sind wahr geworden“, sagt Professor Scott Appleby von der University Notre Dame. Er prophezeit, die Wahl Ratzingers werde einen weiteren Keil zwischen die US-Katholiken treiben.

Doch viele hoffen, der betagte Bayer wird nur ein Übergangspapst sein, der bald den Weg frei macht für den ersten Papst vom amerikanischen Kontinent.