: Die Lage in Togo
COMIC Judith Vanistendaels Comic „Kafka für Afrikaner“ erzählt, wie die Liebe zu einem „schwarzen Mann“ die Normalität einer weißen belgischen Familie durcheinanderbringt
VON SVEN JACHMANN
Zweimal weicht die belgische Comiczeichnerin und -autorin Judith Vanistendael in ihrem Debüt „Kafka für Afrikaner“ vom sonst dominierenden Reihenschema der Panels ab und lässt Szenen und Bewegungen ganzseitig ineinanderfließen. Auf dem einen Bild liegt Abou, ein politischer Flüchtling aus Togo, schlafend am unteren Rand auf einer Matratze, neben sich eine qualmende Zigarette, deren Rauch den Rest des Bildes füllt und seine Albträume visualisiert, schwarzweiß, schmutzig schraffiert, ein wenig expressionistisch: Man sieht einen nackten Mann, der sich vor den Stiefeln eines Soldaten ängstlich zusammenkauert, einen Hubschrauber, aus dem eine grotesk gekrümmte Gestalt ins Meer geworfen wird, und eine Gruppe Demonstrierender, die wütend eine Reihe martialisch ausgestatteter Polizisten anschreit.
In der zweiten Sequenz bewegen sich derselbe Abou und seine 19-jährige Freundin Sofie ekstatisch über den völlig weißen Hintergrund, die Kleider schweben geradezu aus dem Panel. Sie küssen sich im unteren Bildrand, darüber verschmelzen ihre nackten Körper wie in Wellenbewegungen zu immer neuen Formationen. Diese beiden Abweichungen illustrieren für einen kurzen Moment die beiden extremsten Pole innerhalb des Plots: die Ohnmacht und mithin tödliche Rechtlosigkeit des Menschen im Würgegriff autoritärer Regime auf der einen Seite, die größtmögliche Intimität im weltvergessenden Taumel der Liebe auf der anderen. Und gleichzeitig lässt sich an diesen beiden Stellen, am im Vergleich zur restlichen Erzählung besonders exponierten visuellen Stil ablesen, wofür Vanistendael keine Sprache finden will. Denn im Großen und Ganzen bleibt Abou ein unbeschriebenes Blatt. Er ist vor allem eine Projektionsfläche für die Belgierin Sofie und ihre bürgerlichen Eltern.
Die staunen nicht schlecht, als ihnen die Tochter zu Beginn der Geschichte offenbart, dass sie die letzten zwei Tage im Brüsseler Klein Kasteeltje, dem größten Flüchtlingsheim des Landes, verbracht und sich nun in den Asylbewerber Abou verliebt habe. Vater Bolle, arrivierter Redakteur im Auslandsressort einer Tageszeitung, verliert spätestens beim Namen die Contenance: „A-bou. Holla, holla. Doch nicht etwa ein Türke? Oder ein Marokkaner?“
Die namenlose Mutter wiederum studiert tagein, tagaus die Geschichte Togos: „Der kann mir keinen Bären mehr aufbinden. Bestimmt kommt er nicht mal aus Togo.“ Fortan geht es also weniger um Abou und sein Schicksal, denn die in zwei Teile zerfallende Geschichte ist mit nur wenigen Ausnahmen allein den Perspektiven Sofies und ihrer Eltern verpflichtet, besonders jener von Bolle, sondern um den Testlauf für die Vertreter eines liberalen Bürgertums, sich mit der Einkehr des Fremden schlechthin, des „schwarzen Mannes“, wie es im Untertitel heißt, in ihre „Burg“ (Bolle) arrangieren zu müssen.
Wirkliche Klischees, die einer solchen Konfrontation ja fast zwangsweise innewohnen, treten dabei nicht zutage. Das junge Paar bezieht die obere Wohnung im Familiendomizil, und das Arrangement erweist sich vor allem als bizarre Verstrickung in behördlichen Irrsinn, Alltagsrassismus und Vorurteile. An deren Ende kann nur noch eine Heirat Abous Abschiebung verhindern, obwohl er den Status eines politisch Verfolgten genießt.
Vanistendael verlässt sich beim Erzählen dieser Geschichte vornehmlich auf Mittel der Ironie und Karikatur. Hintergründe bleiben oft rudimentär, Anatomien halbwegs korrekt, wohingegen aus den Gesichtern auch mal Münder verschwinden oder Augen zu Punkten schrumpfen können. Fragt Bolle seinen Redaktionskollegen nach der derzeitigen Lage in Togo und jener antwortet wohlfeil: „Das ist alles halb so wild … Für uns jedenfalls“, dann erscheint Bolle im Folgepanel als zigarrenrauchender Wohlstandstourist mit irritiertem Blick, Cocktailglas in der Hand und einer anhimmelnden Schwarzen auf seinem Rücken.
Das steckt alles zweifellos voller guter Absichten. Aber außer der zweifachen Erschütterung – die einer Liebe, die von der Macht der Institutionen abhängig ist, und jene einer gutsituierten, selbstgerechten Mittelschicht, die lernen muss, dass die Welt aus Vorurteilen und Gesetzesschranken besteht – bleibt ein recht biederer Duktus, der dann und wann rätseln lässt, ob der Unglaube darüber, dass ein Mensch jederzeit staatlicherseits zum lästigen Verwaltungsakt degradiert werden kann, sich auch auf die gegenüber dem Leben dort draußen etwas aufgeschlosseneren LeserInnen übertragen soll.
■ Judith Vanistendael: „Kafka für Afrikaner. Sofie und der schwarze Mann“. Aus dem flämischen Niederländisch von Andrea Kluitmann. Reprodukt, Berlin 2011, 152 Seiten, 20 Euro