: Gegen Gummiparagraphen nach Karlsruhe
VERSAMMLUNGSRECHT Weil sie das Demonstrationsrecht seit einer Gesetzesänderung zunehmend eingeschränkt sehen, reichen niedersächsische Bürgerinitiativen Verfassungsbeschwerde ein
Mit einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe will ein Bündnis aus verschiedenen Bürgerrechtsorganisationen das niedersächsische Versammlungsrecht kippen.
„Bürokratisch und abschreckend“ sei das Demonstrationsrecht, das die schwarz-gelbe Landesregierung im Frühjahr 2011 mit einem neuen Versammlungsgesetz geändert hat, sagte Ver.di-Gewerkschaftssekretär Sebastian Wertmüller gestern in Hannover. Demos würden nicht als „begrüßenswerte Meinungsäußerungen“, sondern als „Störung begriffen, die man durch Auflagen in den Griff kriegen will“. Wertmüller zählt wie die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, der Flüchtlingsrat Niedersachsen oder Michael Ebeling vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zu den Beschwerdeführern.
48 Stunden im Voraus müssen Kundgebungen angemeldet, LeiterInnen benannt werden – zur Überprüfung bei Polizei und Verfassungsschutz. Zudem gilt für den Platz vor dem Landtag in Hannover nach wie vor eine Bannmeile: Kundgebungen dürfen hier nur stattfinden, wenn das Parlament nicht tagt, und die Landtagsverwaltung zustimmt. Die zeigt sich wählerisch: Die Veranstalter der Occupy-Proteste etwa mussten sich erst vergangenen Herbst eine Zwischenkundgebung vor dem Landtagsgebäude vor dem Verwaltungsgericht erstreiten. Die Verwaltung hatte das zunächst untersagt – weil die Demo am Wochenende dort angeblich eine „Veranstaltung aus dem parlamentarischen Raum“ behindere. Videoaufzeichnungen von Demos durch die Polizei sind nach dem neuen Versammlungsrecht in unübersichtlichen Situationen erlaubt. Für den Anwalt der Initiativen, Johannes Hentschel, ist das ein „wahrer Gummiparagraph“, der das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.
Hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg, muss das Versammlungsrecht erneut überarbeitet und vom Parlament verabschiedet werden. THA