Schwestern auf Nussbaum

ENTDECKUNG Madrid hat auch eine Mona Lisa

Ein Gemälde im Madrider Museum El Prado wurde tausendmal gesehen und tausendmal übersehen. Das Bild galt als eine der unzähligen Kopien der Mona Lisa von Leonardo da Vinci. Das Gesicht und die Haltung der abgebildeten Frau kamen dem Original sehr nahe. Doch der Hintergrund war dunkel, fast schwarz. Das machte das Gemälde banal. Als Urheber des Werkes aus den Beständen der spanischen Monarchie galt ein flämischer Maler ohne großen Namen. Jetzt wurde diese Mona Lisa von einem der Direktoren des Prado neu entdeckt und macht überraschend Schlagzeilen.

Es ist kein flämisches Gemälde, und es ist auch nicht irgendeine Kopie. Das Werk entstand zeitgleich zum Original aus dem 16. Jahrhundert. Es wird von den Restauratoren des Prado einem der beiden Schüler da Vincis, seinem späteren Geliebten Andrea Salai oder Francesco Melzi zugeschrieben. Der Schüler saß wohl direkt neben dem Meister und imitierte da Vinci Pinselstrich für Pinselstrich.

Von seinem dunklen Lack befreit, erstrahlt das Bild in neuen Farben, als wäre es gestern erst gemalt worden. Der hässliche dunkle Hintergrund – der aus dem 18. Jahrhundert stammen soll – verbarg die gleiche toskanische Landschaft wie auf dem Bild des Meisters. Die Abgebildete Frau wirkt jünger, die Details, wie Augenbrauen, Wimpern und Stickereien verblüffen den Beobachter. „Eine Mona Lisa nach einem umfangreichen Lifting“, jubelt die spanische Presse. Wissenschaftler hoffen, dank der Kopie neue Erkenntnisse über das Original gewinnen zu können.

Es waren die Hüter der echten Mona Lisa im Pariser Louvre, die den Anstoß gaben, das unterbewertete Madrider Gemälde genauer zu untersuchen. Der Louvre wollte es für eine Ausstellung über Da Vinci, seine Zeit und seinen Einfluss. Das Team des Prado nahm daraufhin das Gemälde genauer unter die Lupe, um eine ausführliche Studie über dessen Zustand zu erstellen.

Die erste Überraschung ließ nicht lang auf sich warten: Die Grundlage des Gemäldes war nicht aus Eichenholz, dem Material der flämischen Künstler, wie bisher angenommen, sondern aus Nussbaum, dem Material Da Vincis und seiner italienischen Zeitgenossen. Als dann weitere Untersuchungen zeigten, dass der dunkle Hintergrund später aufgetragen worden war, entstand die Idee zur Restaurierung. Schicht für Schicht kam die Überraschung zum Vorschein.

Im März wird die Mona Lisa aus dem Prado jetzt tatsächlich nach Paris reisen, um im Louvre ausgestellt zu werden. Ihr Platz wird nicht an irgendeiner Wand sein. Die Mona Lisa aus dem Prado wird direkt neben ihrer berühmten Schwester „La Gioconda“ von Leonardo da Vinci hängen. REINER WANDLER