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Archiv-Artikel

Die Reste der „Titanic“

Im irischen Cork – der Europäischen Kulturhauptstadt 2005 – speisen die Gäste auf der „Titanic“. Das Restaurant ist dem Veranda-Café auf dem A-Deck der „Titanic“ nachgebaut. An den Wänden hängen Originalstücke des Ozeanriesen

VON ROBERT B. FISHMAN

Vom Bahnhof des Hafenstädtchens Cobh bei Cork sind es nur ein paar Schritte in die luxuriösen Speisesäle der „Titanic“. Mit einem Lottogewinn hat ein Einheimischer das Abfertigungsterminal der Reederei White Star Line zu einem Restaurant umgebaut. Drinnen ist alles „Titanic“.

Für Vincent Keaney war der Untergang der „Titanic“ mehr als ein schreckliches Unglück. „Es traf Reiche wie Arme gleichermaßen. Das war etwas Neues“, sagt der groß gewachsene 48-Jährige nachdenklich. 44 der 123 irischen Passagiere haben den Untergang der „Titanic“ überlebt, obwohl sie unten in der dritten Klasse kaum Chancen hatten. „Das ist der Kampfgeist, mit dem es unser kleines Land geschafft hat, sich aus dem britischen Weltreich zu befreien.“

Als Vincent klein war, erzählten ihm die Alten im Städtchen die Geschichten von den „Königinnen der Meere“, die draußen im zweitgrößten natürlichen Hafen der Welt auf ihrem Weg nach Nordamerika festmachten, von der Aufregung angesichts der mächtigen Dampfer und vom 7. Mai 1915: An diesem Tag versenkte vor Cobh ein deutsches U-Boot den Luxusdampfer „Lusitania“ mit mehr als 1.300 Passagieren an Bord und besiegelte damit Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg. Für die US-Regierung war der Angriff auf die „Lusitania“ ein Grund, an der Seite Frankreichs und Großbritanniens in den Krieg einzutreten. Die wenigen Überlebenden der „Lusitania“ landeten in Cobh, das damals noch Queenstown hieß und zum britischen Königreich gehörte. Die Einheimischen räumten den Geretteten Zimmer und Betten frei. Noch Tage später spülte der Ozean Leichen an die Küste. 169 Opfer, darunter viele US-Bürger, wurden auf dem Friedhof von Cobh begraben.

Vincent Keaney ärgerte sich darüber, dass seine Heimatstadt den Opfern des „Lusitania“-Untergangs ein Denkmal baute, ohne an das Schicksal der Menschen zu erinnern, die mit der „Titanic“ im Nordatlantik versanken. Mit 17 verließ er wie so viele Iren seine Heimat: „Keine Arbeit und keine Liebe“, sagt er lachend und berichtet von seiner Zeit bei der britischen Marine, vom Leben in England, Südafrika und Indien.

Zurück in der Heimat gewann der junge Mann aus Cobh eine Million irische Pfund im Lotto. Damit kaufte er 1994 das heruntergekommene Abfertigungsgebäude der White Star Line, in dem 1912 die letzten Passagiere der „Titanic“ für die Überfahrt eingecheckt hatten. Der Verkäufer der 160 Jahre alten Ruine fasste sich an den Kopf und erklärt Keaney schlicht für „bekloppt“, als der ihm seinen Plan erklärte: Als Erinnerung an die großen Tage der Ozeanriesen sollte ein Restaurant entstehen, in dem die Gäste wie an Bord der „Titanic“ speisen.

Fünf Jahre Streit mit den Behörden, sechs Gerichtsprozesse und zweieinhalb Millionen irische Pfund investierte Keaney. „Irgendwann war es zu viel, um aufzugeben, also habe ich weitergemacht“, sagt der fanatische Sammler „von allem, was von den Ozeandampfern noch zu bekommen ist“.

Inzwischen hat er sich seinen Traum verwirklicht: Die Bar mit ihrer Holzvertäfelung aus Mahagoni und kanadischer Kiefer unter der Stuckdecke sieht genauso aus wie der Rauchersalon der ersten Klasse auf der „Titanic“. „Das war der Raum, in dem Mütter und Väter versuchten, ihre Töchter und Söhne an reiche Amerikaner zu verheiraten. Die kamen nach Europa, um mit ihren Reisen zu Hause Ansehen zu gewinnen und um europäische Partner für ihre Kinder zu suchen“, berichtet Vincent Keaney.

Der Tresen seiner Bar stammt vom „Titanic“-Schwesterschiff „Mauretania“. „Alles original“, schwärmt der Wirt. An der Wand hängt ein Auszug aus dem Hafen-Logbuch, der den Besuch der „Titanic“ im Hafen von Queenstown dokumentiert. Hafenbarkassen brachten fliegende Händler mit Souvenirs und die Passagiere hinaus zu dem schwarzen Riesen, der vor der Landspitze Roches Point ankerte. Die Reisenden der dritten Klasse „fanden dort einen Luxus vor, den sie nie zuvor irgendwo gesehen hatten“.

Durch die Fenster der keltischen Bar schauen die Gäste des Restaurants „Titanic Queenstown“ auf die Reste des Heartbreak-Pier, über den mehr als zwei Millionen irische Auswanderer ihr Land verließen. Den Cunard-Saal des Restaurants hat Keaney dem Veranda-Café auf dem A-Deck der „Titanic“ nachgebaut. An den Wänden hängen Originalstücke wie die Postkarte, die sechs überlebende Passagiere auf der „Titanic“ geschrieben haben, Uniformknöpfe und Abzeichen von Stewarts. Aus der Brücke der 1928 vor Cobh gesunkenen „Celtic“ ließ Keaney direkt über der Hafenbucht die Terrasse bauen.

Millvana Dean, letzte noch lebende „Titanic“-Passagierin, kam eigens aus England nach Cobh, um den nach ihr benannten Saal im „Titanic Queenstown“ einzuweihen. Als Einzige ihrer Familie war sie als Baby 1912 aus den eisigen Fluten des Nordatlantik gerettet worden.

Irland Information Gutleutsr. 32, 60329 Frankfurt/M., Tel. (0 69) 66 80 09 50, Mo.–Fr. 9–18 Uhr, www.irland-urlaub.deCork ist 2005 Europäische Kulturhauptstadt. Alle Infos zu Stadt und Programm unter: www.cork2005.ie; www.corkkerry.ie; www.corkcity.ie; www.cktourism.ie. www.cork-guide.ie – offizieller Führer durch die County Cork