Der Verfall ist überall

PROVINZGESCHICHTEN Patrick Findeis entwirft in seinem Debütroman „Kein schöner Land“ ein dörfliches Antiidyll – und drückt dabei mächtig auf die Tube

Angst vor dem Klischee der Provinz hat Patrick Findeis wahrhaftig nicht

Das Genre der Dorfgeschichten, der Erzählungen von jungen Menschen, die aus der Provinz fliehen, um die geistige Enge hinter sich zu lassen, ist uralt, erfuhr aber in den vergangenen Jahren hin und wieder eine popkulturell-heitere Variation – beispielsweise in Rocko Schamonis „Dorfpunks“. Auch Patrick Findeis’ Debütroman ist auf dem Land angesiedelt, im Süddeutschen, wo nachts durch die Straßen gegrölt wird, dass Deutscher Meister nur der VfB werde.

Und auch in diesem Buch gibt es tatsächlich Jugendliche, die sich die Haare lang wachsen lassen, „Slayer“ oder „Accept“ hören und sich, der Begriff war beinahe schon vergessen, „Metaller“ nennen. Das ist rührend und im Nachhinein betrachtet auch ein wenig komisch; es ist allerdings auch das einzig Komische an „Kein schöner Land“, einer düsteren Prosa, die an sämtlichen Erzählfronten vom Untergang und vom Sterben berichtet.

Mit einem wunderbaren Auszug aus dem Roman gewann Findeis, Absolvent des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig, im vergangenen Jahr den 3sat-Preis bei den Klagenfurter Tagen der deutschsprachigen Literatur. Aus dem Gesamtzusammenhang des Textes fällt diese Passage allerdings heraus; der Bauer Späht, in dem sich körperlicher und mentaler Verfall stellvertretend für eine ganze Landschaft manifestieren, und das auch noch auf erzählerisch dezente Weise, ist nicht mehr als eine aufgewertete Nebenfigur.

Und dezent ist an Findeis’ Roman insgesamt leider auch recht wenig; im Gegenteil – es wird so mächtig auf die Tube gedrückt, dass man hin und wieder den Eindruck hat, man befände sich inmitten eines „Tatort“-Drehbuchs: Ständig brennt es irgendwo, Väter schlagen ihre Söhne, zwingen sie zu einem Leben, das sie nicht wollen, oder verstoßen sie, weil sich herausstellt, dass sie schwul, also: pervers sind. Frauen wiederum sind nach außen hin duldsam, betrügen aber – möglicherweise – ihre Männer, und Aussiedler mögen sie alle zusammen nicht besonders gern. Angst vor dem Klischee der Provinz hat Patrick Findeis wahrhaftig nicht.

Es sind mehrere Lebensläufe, die er in „Kein schöner Land“ über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren ausbreitet: Uwe, dessen Eltern im Dorf Rottensol die einzige Gastwirtschaft führen, macht eine Zimmermannslehre, geht auf die Walz und endet, nachdem die Mutter ihn mit der Lüge, der Vater sei todkrank, nach Hause geholt hat, als Herointoter im elterlichen Badezimmer. Sein einstmals bester Freund Olaf zündet (vermutlich) die Schlosserei des Vaters an und macht sich anschließend aus dem Staub, um viele Jahre später als Ex-Fremdenlegionär urplötzlich auf der Matte zu stehen. Olafs Bruder Jürgen schließlich, der Unauffällige im Hintergrund, landet als arbeitsloser Kunstgeschichtler auch wieder in der alten Heimat.

Währenddessen lebt die Elterngeneration ihr Leben unverändert weiter, gebrochen und in Unfrieden miteinander, die Oberflächenordnung bewahrend. Das ist wohl letztendlich die Triebfeder des Romans – zu zeigen, wie Menschen sich darum bemühen, ihre Normalität aufrechtzuerhalten, während um sie herum alles im Verfall begriffen ist: Familie, Landschaft, Werte. Das Dorf ist zunehmend durch Neubaugebiete zersiedelt, in den Ställen stehen schon seit langem keine Kühe mehr, die Idee eines funktionierenden Gemeinwesens, einer intakten dörflichen Struktur zertrümmert Patrick Findeis mit dem Hammer. Zersplittert ist auch die Chronologie: Findeis springt ansatzlos zwischen den einzelnen Zeit- und Handlungsebenen hin und her, ohne dass der ästhetische Mehrwert dieses Verfahrens erkennbar würde.

Es gibt immer wieder Passagen (wie auch die in Klagenfurt ausgezeichnete), in denen die distanzierte, kühle Sprache des Romans einen atmosphärisch intensiven Eindruck davon zu erzeugen in der Lage ist, wie in einem geschlossenen dörflichen Kosmos Leid entsteht und wie man gleichzeitig darunter leiden kann, dass eben dieser Raum im Begriff ist, zu Grunde zu gehen.

Doch allzu oft operiert „Kein schöner Land“ mit Abziehbildern von Tragik und Unglück, von Schuld, Familienabhängigkeiten, Lebenslügen und dem daraus abgeleiteten Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Vor einer solch finster-bornierten Provinz kann man in der Tat nur fliehen. CHRISTOPH SCHRÖDER

■Patrick Findeis: „Kein schöner Land“. Roman, Deutsche Verlagsanstalt, München 2009, 202 Seiten, 18,95 Euro