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Archiv-Artikel

Kleine Gesten, große Wirkung

THEATER Nino Haratischwili inszeniert im Brauhauskeller ihr neues Stück „Drei Sekunden“. Bei ihr stehen statt der Selbstmörderin die Hinterbliebenen im Zentrum des Geschehens

Julian hat wirklich Pech. Eine Frau lief ihm vors Auto, offenbar, um sich zu töten. Aber warum passiert gerade ihm das?

VON ANDREAS SCHNELL

Es sind Gesten, die diesen Abend zu etwas Besonderem machen. Menschliche Gesten. Sehr menschliche Gesten, wobei die natürlich ohnehin selten unmenschlich sind, zumindest bei Menschen. Vor allem Laina Schwarz, die unlängst in Bremerhaven die Toni Buddenbrook gab, ist als Patricia Prat geradezu hinreißend: Ganz sacht und noch kürzer berührt sie Julian Strawinsky (Guido Gallmann), und dann noch einmal. Als wollte sie sich davon überzeugen, dass es ihn wirklich gibt.

Schließlich sagt sie ja auch: „Er ist gesund. Er hat einfach nur aufgehört, zu leben.“ Nein, vielleicht sind es nicht allein die Gesten. Es ist vor allem Laina Schwarz, die den Laden zusammenhält. Und das ist gar nicht so einfach.

Julian hatte nämlich wirklich Pech. Eine Frau lief ihm vors Auto, offenbar, um sich zu töten. Aber warum passiert gerade ihm das? Julian, der das gut geregelte Leben eines erfolgreichen Verlegers führte, verliert sich in Spekulationen, in Schuldgefühlen. Er will wissen, wer diese Frau war. Er nimmt Kontakt zu ihrer Tochter auf, zu ebenjener Patricia, kurz: Pat.

Die ihm natürlich auch nicht wirklich weiterhelfen kann. Jedenfalls nicht bei der Beantwortung seiner Fragen. Und dass er bei ihr eigentlich auch sonst nichts verloren hat, finden auch Julians Schwester Margot, Martin, sein Freund und Autor – und erst recht Malcolm Porter, Kunstprofessor und Liebhaber von Pat.

Julian lernen wir in dem Moment kennen, als das Unglück geschieht. Ein Knall, und alles hat sich verändert, hübsch bebildert mit einem Luftballon, der platzt. Als wäre er über Nacht ergraut, sehen wir ihn mit weißgepuderten Haaren und auch sonst in lebloser Blässe stilisiert, während Pat, die freigeistige Künstlerin, sich über und über mit Farbe bekleckert.

Auch ihr Leben hat sich mit dem Verlust der Mutter dramatisch verändert. „Wir sollten uns nicht kennen“, sagt sie zu Julian. Und wäre ihre Mutter nur ein paar Sekunden später oder früher losgelaufen, hätten sie sich vielleicht auch nie kennengelernt. Und ihr Professor und Liebhaber? Der ist auf einmal nicht mehr der wichtigste Mann in Pats Leben. Während Martin nicht zuletzt seine Felle wegschwimmen sieht und Julians Schwester Margot die Familie in Gefahr sieht. Das Leben ist zerbrechlich, wenige Sekunden entscheiden über Leben und Tod, für die einen ist es das Ende, für andere kann es das ganze Leben verändern. Darauf verweist wohl das Schlussbild mit noch mehr Luftballons. Fesselnd ist dieser Theaterabend, wie gesagt, vor allem wegen der Schauspieler. Wobei sich da das kleine Ensemble als durchaus heterogen erweist.

So ist es vor allem Laina Schwarz, deren Spiel anrührt. Guido Gallmann macht seine Sache ebenfalls gut, ihn haben wir aber auch schon besser gesehen. Überzeugend ist Helge Tramsen als zur Vulgarität gepaart mit Sozialneid neigender Kunstprofessor. Susanne Schrader ist eine hübsch zickige Schwester. Nicht immer gut: Timo Lampka, der zwar einige hübsche Charakterstudien seiner selbstverliebten Figur (Schriftsteller) bietet, aber anscheinend manchmal auch einfach nicht recht weiß, was er da tut. Immerhin bietet Haratischwili, die ihre Stücke auch sonst gern selbst inszeniert, einige hübsche Schmankerln. Per Videoprojektionen lässt sie die per Telefon nervende Mutter von Julian und Margot und deren Sohn auf den Leibern der Angerufenen erscheinen. Ein kleiner feiner Einfall in einer Inszenierung, die mit wenigen Requisiten und minimalistischer Kulisse (Bühne und Kostüme: Mareen Biermann) auskommt.

■ Samstag, 11. 2., Dienstag, 21. 1., 20.30 Uhr, Brauhauskeller