: Brüchige Toleranz
Beim CSD in Amsterdam waren erstmals Christdemokraten und schwule Soldaten dabei
Exaltierte Househymnen treffen auf holländische Kirmeskracher. Auf den Brücken über der Prinsengracht ist schon ab mittags kein Durchkommen mehr. Beim Anne-Frank-Haus ziehen Nepp- Polizisten in hautengen Uniformen Pappknüppel über die vorbeiflanierenden Pos. Weit über eine halbe Million Zuschauer säumten am Samstag den Weg der Bootparade, die zum 14. Mal durch den Grachtengürtel zog.
„Toll, dass das im toleranten Amsterdam möglich ist“, sagt ein New Yorker. Er und sein frischgebackener Ehemann sind eines der fünf niederländisch-amerikanischen Paare, die Bürgermeister Job Cohen während der Parade traut. Ein Hinweis auf die ungleiche Entwicklung von Homosexuellenrechten, 400 Jahre nach der Entdeckung Manhattans im Auftrag der niederländischen Ostindienkompanie: Während Schwule und Lesben in nur sechs US-Staaten heiraten dürfen, waren die Niederlande 2001 weltweiter Vorreiter.
Nicht erst seitdem vermarktet sich die Hauptstadt als „Gay Capital“. Und dennoch hat das „tolerante Amsterdam“ einen Ruf zu verlieren, denn in den letzten Jahren häufen sich die Übergriffe auf Homosexuelle. Erst vor Wochenfrist wurden Mitorganisator Hugo Braakhuis und sein Partner beschimpft und geschlagen, als sie sich in der Öffentlichkeit küssten. In der Nacht vor der Parade tauchte auf einer Brücke der Schriftzug „Alle Homos in die Hölle“ auf. Neben islamischen Migranten wettern auch fundamental-christliche Parteien gegen offene Homosexualität. Der streng calvinistische Evangelische Rundfunk EO verbot einem Moderator, auf einem Boot mitzufahren. Selbst RefoAnders, eine orthodox-protestantische Homosexuellenorganisation, distanzierte sich. „Wer sagt, Christen können dieses Fest genießen, sagt auch, dass Gott das kann, und das ist nicht so.“
Die christdemokratische Regierungspartei CDA war hingegen erstmals auf dem „heiligen Bötchen“ vertreten, mit den progressiv-christlichen Schwulen und Lesben, die seit Jahren an der Parade teilnehmen. Weitere Pioniere waren Armeemitglieder und Polizisten in Uniform sowie mehrere – heterosexuelle – Sportgrößen. Auch immer mehr Betriebe versprechen sich von einem eigenen Boot auf der Gay Parade eine imagefördernde Wirkung. Frank van Dalen, Vorsitzender des Veranstalters ProGay, sieht darin ein positives Zeichen für die wachsende gesellschaftliche Tragfläche der politischen Parade.
Zu viele Heteros?
Diese Resonanz stößt indes lange nicht überall auf Zustimmung. Frans Monsma, in den 1990er-Jahren einer der Initiatoren der Veranstaltung, beklagte deren zunehmende „Heteroisierung“. Zu wenige der rund 80 Boote seien echte „Homokähne“. Und als Solidaritätsbekundungen sieht er die politische Präsenz auch weniger: „Das ist ein Aufmarsch, um Stimmen zu gewinnen, mit dem Bürgermeister vorneweg.“
TOBIAS MÜLLER