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Archiv-Artikel

Große Umarmung

ZEHN JAHRE NACH 9/11 Stephen Daldry verfilmt „Extremly loud and Incredible Close“ (Wettbewerb)

Harvey Black umarmt sehr gerne. Wenn es sein muss, auch siebzehnmal oder mehr. Jetzt kann es durchaus tröstend sein, von einem Fremden herzlich gedrückt zu werden, vor allem, wenn man ein neunjähriger Junge ist, dessen Vater bei einem terroristischen Anschlag gestorben ist. Zugegeben: Harvey Black ist nicht die Haupt-, sondern bloß eine Nebenfigur in „Extremely Loud and Incredibly Close“, einem Film, der beinahe nur aus Nebenfiguren besteht. Trotzdem ist der einige Zentner schwere New Yorker mit den Riesenpranken die heimliche Botschaft einer Erzählung, die nichts anderes will als das: Uns in die Arme nehmen. Andauernd. Bis es weh tut.

Die offizielle Hauptfigur heißt Oskar Schell (Thomas Horn) und ist der Sohn eines Juweliers, der in den Türmen war, als die Flugzeuge kamen. Wie ein anderer Oskar der Literaturgeschichte ist auch dieser hier mit mehr Hellsicht begabt, als für ein Kind oder irgend jemanden zu empfehlen ist. Er ist systematisch bis zur Obsession, hasst Brücken, hat immer ein Fernglas parat und zählt die Schritte von der Schule nach Hause. Seit ein leerer Sarg anstelle seines Vaters beerdigt wurde, hat er sich einige Angewohnheiten zugelegt, von denen nicht einmal seine Mutter wissen darf. Als ihm ein Schlüssel seines Vaters in die Hände fällt, unternimmt er alles, um das passende Schloss dazu finden. Am Ende wird Oskar sein Ziel sogar erreichen, wenn auch auf andere Weise, als er erwartet hatte.

Leider hat der Film kein Ziel, das er erreichen will. Stephen Daldry (“TheHours“, „Der Vorleser“), hat den Roman von Jonathan Safran Foer auf die Leinwand gebracht, ohne zu wissen, wieso man zehn Jahre danach noch einmal von 9/11 erzählen sollte. Darüber tröstet auch keine Umarmung hinweg.

DIETMAR KAMMERER