GEW-Traditionalisten auf dem Vormarsch

Ulrich Thöne zum neuen Vorsitzenden gewählt. Kritiker fürchten Rückkehr zur „Lehrergewerkschaft“

ERFURT taz ■ Ein toller Start war es nicht: Der Berufsschullehrer Ulrich Thöne wurde am Sonntag mit nur 64,3 Prozent zum neuen Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gewählt – und das, obwohl es keinen Gegenkandidaten gab. Das Ergebnis spiegelt die gespaltene Stimmung der 432 Delegierten des 25. Gewerkschaftstages und innerhalb der GEW wider.

Thöne gilt als Traditionalist, der die Aufgabe der Gewerkschaft verstärkt in der Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen sieht. Und der neue Vorsitzende ließ am Sonntag keinen Zweifel daran, dass er sich zu Abwehrschlachten für die Besitzstände der zu 60 Prozent von Lehrern dominierten Klientel rüstet: „Ich werbe für eine kämpferische GEW, kämpferisch für unsere Arbeitsbedingungen und für eine bessere Bildung von Anfang an“, sagte Thöne. „Wir müssen dranbleiben in puncto Senkung der Pflichtstundenzahl.“

Die erste Protest-Demo besuchte der neue Vorsitzende gleich am nächsten Tag. Gestern demonstrierten Lehrer und Angestellte in Erfurt spontan, nachdem die Tarifverhandlungen zwischen der Tarifgemeinschaft der Länder und Ver.di in der Nacht ergebnislos abgebrochen wurden. Die Länder wollen die Arbeitszeit auf 42 Stunden pro Woche ausdehnen. Lehrer sollen aus dem Tarifvertrag ausgenommen werden. Beide Forderungen lehnen die Gewerkschaften ab. „Wir werden uns mit Arbeitskämpfen weiter bewegen, um zu einer Lösung zu kommen“, sagte Thöne.

Zuerst bessere Arbeitsbedingungen, dann bessere Bildung – diese Reihenfolge kehrt die Schwerpunkte, die unter Thönes Vorgängerin Eva-Maria Stange gesetzt wurden, um. Unter ihr versuchte die GEW sich vom Image der Lehrergewerkschaft zu befreien und sich als progressive Kraft zu profilieren. Dabei stärkte Stange die Anliegen kleinerer Bereiche wie Kindergärten und Jugendhilfe innerhalb der Gewerkschaft.

Nun fürchten viele GEWler, dass es zu einem Rollback kommen könnte: „Die Organisationsveränderungen sind nicht so nachhaltig, dass wir nicht in zehn Jahren wieder einseitig als Lehrergewerkschaft wahrgenommen werden könnten“, meint die Ex-Vorsitzende Stange besorgt. Auch der baden-württembergische Vorsitzende Rainer Dahlem sieht die Bewahrer auf dem Vormarsch: „Wir müssen Reformen und Interessen verbinden, das war unsere Stärke und muss es bleiben.“

Derweil nannte Thöne die kurzfristigen politischen Ziele der Gewerkschaft. So sollen die Forderungen nach frühkindlicher Bildung Schritt für Schritt umgesetzt werden. Auf dem Gewerkschaftstag wurde deshalb unter anderem ein „Masterplan Bildung“ beschlossen. Demnach sollen alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr Anspruch auf einen kostenlosen Kita-Platz erhalten.

ANNA LEHMANN